Invasive Pflanzen in der EU Teil 2: Wasserpflanzen

Unionsliste invasiver Arten

In der EU gibt es rund 12.000 gebietsfremde Arten. Ein kleiner Teil von ihnen erfordert besondere Aufmerksamkeit, da sie heimische Arten in ihrem Bestand gefährden können.

Die EU-Verordnung über die Prävention und das Management der Einbringung und Ausbreitung invasiver gebietsfremder Arten soll verhindern, dass sich diese Arten ausbreiten, beziehungsweise ein schnelles Reagieren ermöglichen, wenn sich erste Anzeichen einer Ausbreitung zeigen. Um welche Arten genau es sich handelt, steht in der „Unionsliste“. Von den insgesamt 88 aufgeführten invasiven Arten sind 40 Gefäßpflanzen. In einer Artikel-Serie, die zunächst in der Flora-Incognita-App veröffentlicht wurde, stellen wir diese vor – beginnend mit Sträuchern und Bäumen, nun gefolgt von den Wasserpflanzen.

Verbreitung und Schaden

Der Hauptgrund für die Verbreitung von invasiven Wasserpflanzen ist das unsachgemäße Entsorgen von Aquarien- und (Gartenteich-) Zierpflanzen in der Natur. Trotz des bestehenden Handelsverbots sind manche der gelisteten Arten in Geschäften oder über nachbarschaftliche Tauschaktionen erhältlich. In einem geeigneten Lebensraum angekommen, verbreiten sie sich rasch, zum Beispiel durch Ausläufer und Stängelstücke, die durch Vögel oder Boote abgetrennt werden. Alle hier vorgestellten Arten können massive Bestände auf und unter Wasser bilden, in dessen Folge es zu schweren Störungen der Nahrungskette und Nährstoffdynamik im Gewässer kommt. In zahlreichen Ländern fallen für Management-Maßnahmen zur Gewässerreinigung bereits viele Millionen an Kosten an.

Wasserhyazinthe (Eichhornia crassipes)

Zu den 100 gefährlichsten Neobiota weltweit zählt die Wasserhyazinthe (Eichhornia crassipes). Sie stammt aus den Tropen Südamerikas und wurde als Teichbepflanzung weltweit in den Handel gebracht. Ohne Fressfeinde vermehrt sie sich massenhaft, in nur 2 Wochen verdoppelt sie ihre Fläche. Unter dem dicken Pflanzenteppich, der Schifffahrt und Fischerei behindert, sterben andere Wasserpflanzen. Das führt zu einer chemischen Veränderung des Wassers, die auch Fische verenden lässt. Zudem reduziert der Bewuchs die Fließgeschwindigkeit des Wassers, was zu einer Verschlammung führt.

Invasive Pflanzen am Wasser und in flachen Zonen

Sowohl das Großblütige Heusenkraut (Ludwigia grandiflora), als auch sein Verwandter, das Flutende Heusenkraut (Ludwigia peploides) bilden in kürzester Zeit dichte Teppiche aus, und schon Stücke von 1 cm Länge reichen aus, um einen neuen Bestand aufzubauen. Anfällig für Invasion durch das Alligatorkraut (Alternanthera philoxeroides) sind vor allem natürliche und naturnahe Wälder, Uferbereiche und Feuchtgebiete. Mit seinen bis zu 10 Meter langen Stolonen bildet er dichte, verwobene Teppiche aus. Zur Blütezeit ragen diese über das Wasser hinaus – allerdings wurden neophytische Bestände noch nicht blühend beobachtet. Hier erfolgt die Vermehrung vegetativ.

(Meist) untergetaucht lebende Arten in langsam fließenden Gewässern

Die Schmalblättrige Wasserpest (Elodea nuttallii) gedeiht bis in 3 Metern Tiefe und bildet dichte Bestände aus, die andere, sensible Arten wie die gefährdete Krebsschere (Stratiotes aloides) verdrängen. Die Wechselblatt-Wasserpest (Lagarosiphon major) bildet sogar bis zu 5 Meter lange Sprosse aus. Zwei weitere Unterwasserpflanzen sind die Karolina-Haarnixe (Cabomba caroliniana), die trotz ihrer subtropischen Herkunft Winterfröste überdauern kann und das Verschiedenblättrige Tausendblatt (Myriophyllum heterophyllum), welches in bis zu 10 Metern Tiefe wurzeln und dennoch Wasseroberflächen komplett bedecken kann.

(Meist) auf der Oberfläche wachsende Arten in langsam fließenden Gewässern

Der Große Wassernabel (Hydrocotyle ranunculoides) breitet sich entlang von Fließgewässern aus, wo seine bis zu 6 cm breiten, rundlichen Blätter über dem Wasser geschlossene Decken bilden. Die Bekämpfung der Art kostet in den Niederlanden rund 10.000 Euro pro Kilometer Kanal. Der Wassersalat (Pistia stratiotes) ist als Muschelblume trotz Verbots häufig im Handel erhältlich. Seine Samen können Trockenheit und Frost überdauern. Große Bestände beeinträchtigen die Wasserwirtschaft und reduzieren die Lichtverfügbarkeit im Wasser.

Klimawandel treibt Verbreitung voran

In manchen Thermalgewässern Ungarns und Italiens gilt der Falsche Wasserfreund (Gymnocoronis spilanthoides) bereits als etabliert und verändert mit seinen langen Sprossen die Gewässerstrukturen. Aufgrund des Klimawandels gibt es jedoch in weiten Teilen Europas zahlreiche Flüsse, Kanäle, Seen und Teiche, die potentiell als zukünftiger Lebensraum in Frage kommen würden. Das gleiche gilt für den frei schwimmenden Wasserfarn (Salvinia molesta), der unter günstigen Bedingungen langsame Fließgewässer mit bis zu 1 m dicken Matten bedecken kann. Aber auch das Brasilianische Tausendblatt (Myriophyllum aquaticum) profitiert von höheren Wassertemperaturen.

Achtung! Die auf der Unionsliste geführten Arten dürfen nicht vorsätzlich in das Gebiet der EU verbracht werden, gehalten, gezüchtet, gehandelt, verwendet, getauscht, zur Fortpflanzung gebracht und in die Umwelt freigesetzt werden!

Titelbild: Wasserhyazinthe, Dinesh Valke from Thane, India, CC BY-SA 2.0, via Wikimedia Commons

Invasive Pflanzen in der EU Teil 1: Sträucher und Bäume

Unionsliste invasiver Arten

In der EU gibt es rund 12.000 gebietsfremde Arten. Ein kleiner Teil von ihnen erfordert besondere Aufmerksamkeit, da sie heimische Arten in ihrem Bestand gefährden können.

Die EU-Verordnung über die Prävention und das Management der Einbringung und Ausbreitung invasiver gebietsfremder Arten soll verhindern, dass sich diese Arten ausbreiten, beziehungsweise ein schnelles Reagieren ermöglichen, wenn sich erste Anzeichen einer Ausbreitung zeigen. Um welche Arten genau es sich handelt, steht in der „Unionsliste“. Von den insgesamt 88 aufgeführten invasiven Arten sind 40 Gefäßpflanzen. In einer Artikel-Serie, die zunächst in der Flora-Incognita-App veröffentlicht wurde, stellen wir diese vor – beginnend mit Sträuchern und Bäumen.

Sträucher und kleine Bäume

Die 2-6 Meter hohe Weidenblatt-Akazie (Acacia saligna) stammt aus Australien und vermehrt sich rasch, sodass sich Dominanzbestände ausbilden können. Da sie zudem Stickstoff im Boden anreichert, werden Arten verdrängt, die auf nährstoffarme Böden angewiesen sind. Der Kreuzstrauch (Baccharis halimifolia) toleriert hohe Salzgehalte im Boden, verdrängt Röhricht und Binsen und verändert damit sensible Lebensräume wie Salzmarschen. Das Nadelblättrige Nadelkissen (Hakea sericea) besiedelt in dichten Beständen gestörte Flächen, z.B. Straßenränder, Waldränder, trockenes Grünland und Kiefernwälder. Die Gewöhnliche Seidenpflanze (Asclepias syriaca) wurde einst in Europa als Bienenweide eingeführt und verdrängt heute durch ihre rasche Ausbreitung und großen Populationen heimische Pflanzenarten auf Trockenrasenstandorten.

Größere Bäume

Noch gibt es in Europa außer auf Gran Canaria keine stabilen Bestände des Mesquitebaums (Prosopis juliflora). Er gehört zu den 100 invasivsten verholzenden Gewächsen weltweit, weswegen er vorsorglich auf die Liste aufgenommen wurde. Ebenfalls unter Beobachtung steht der Chinesische Talgbaum (Triadica sebifera). Sein potenzielles Ausbreitungsgebiet sind der Mediterranraum, der Südwesten der Iberischen Halbinsel und die südlichen und östlichen Teile der Schwarzmeerküste. Bereits in weiten Teilen Europas ist der Götterbaum (Ailanthus altissima) verbreitet, und der Klimawandel begünstigt seine Ausbreitung weiter. Ein einzelnes Individuum kann bis zu 325.000 Samen pro Jahr produzieren. Darüber hinaus erfolgt auch vegetative Vermehrung durch Ausläufer. Durch seinen Stoffwechsel hemmt er das Wachstum der Pflanzen in seiner Umgebung (Allelopathie).

Achtung! Die auf der Unionsliste geführten Arten dürfen nicht vorsätzlich in das Gebiet der EU verbracht werden, gehalten, gezüchtet, gehandelt, verwendet, getauscht, zur Fortpflanzung gebracht und in die Umwelt freigesetzt werden!

Weitere Informationen:

Ausführliche Steckbriefe zu den Arten der Unions-Liste hat das Bundesamt für Naturschutz in einem Kompendium veröffentlicht, welches frei heruntergeladen werden kann: Die invasiven gebietsfremden Arten der Unionsliste der Verordnung (EU) Nr. 1143/2014 – Dritte Fortschreibung 2022 –

Bildnachweis Titelbild:
Ailanthus altissima, Fruchtstand. Von H. Zell – Eigenes Werk, CC BY-SA 3.0, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=10860477

Fichte ist nicht gleich Fichte: Der spannende Fall der „Hochlagentypen“ in unseren Mittelgebirgen

Botanischer Steckbrief der Fichte

Die Gemeine Fichte (Picea abies), aufgrund ihrer Rindenfärbung manchmal auch Rotfichte genannt, ist eine der dominierenden Baumarten in den Mittel- und Hochlagen unserer Gebirge und eine wichtige Grundlage der forstlichen Wertschöpfung. Auch wenn diese Baumart in tieferen Lagen durch die Trockenheit der letzten Jahre stark zurückgegangen ist, wird sie im niederschlagsreichen Bergland weiterhin eine wichtige wirtschaftliche Rolle spielen. Die Fichte ist eingeschlechtig und windbestäubt und weist innerhalb ihres Verbreitungsgebietes in Europa und Asien eine sehr hohe morphologische Variabilität auf. Die im deutschen Bergland vorkommende heimische (autochthone) Fichte P. abies subsp. oder var. alpestris unterscheidet sich durch ihre schmalere und zylindrischere Krone deutlich von den Fichten tieferer Lagen.

Aktueller Blick vom Finsterberger Köpfchen (875 m ü NN) auf den noch von Fichten dominierten Nordrand des Thüringer Waldes. Foto: Dr. Kevin Karbstein (24.08.2024)

Aktueller Blick vom Finsterberger Köpfchen (875 m ü NN) auf den noch von Fichten dominierten Nordrand des Thüringer Waldes. Foto: Dr. Kevin Karbstein (24.08.2024)

Schadereignisse und Waldumbau

Die „Hochlagenfichten“ wurden vor allem im 19. und 20. Jahrhundert durch Rodung, Sturm und Borkenkäferbefall stark reduziert, wie das Bild zeigt. Die Pflanzung von standortfremden „Tieflagenfichten“ nach diesen Ereignissen verstärkte die Verdrängung der Hochlagentypen durch genetische Vermischung der nachfolgenden Generationen. Viele Bestände sind bereits erloschen oder vom Aussterben bedroht, wie beispielsweise die über >250 Jahre alten „Oberhofer Schloßbergfichten“ in Thüringen, die im Titelbild dieses Artikels  zu sehen sind. In den letzten Jahren setzte sich die Erkenntnis durch, dass nur durch einen naturnahen Waldumbau im Gebirge den Nachteilen nicht angepasster Fichtenbestände durch Schneebruch, Sturmschäden und Schädlinge entgegengewirkt werden kann. Diese Schäden sind vermutlich auf den instabileren Wuchs und die wind- und nebelfrostempfindliche, ausladende Krone der Tieflagenfichten zurückzuführen.

Kahlflächen in den Hochlagen des Thüringer Waldes nach Räumung des Schadholzes (1949). Aus: Schreiber et al. (1996)

Kahlflächen in den Hochlagen des Thüringer Waldes nach Räumung des Schadholzes (1949). Aus: Schreiber et al. (1996)

Forschung

Bisher erschwerte das Fehlen einer Übersicht leicht zugänglicher Merkmale (z. B. Phänologie, Kronenarchitektur oder Zapfen) die Ansprache und damit die Förderung bzw. Entnahme beider Fichtentypen. In einer kürzlich erschienenen Studie von Dr. Kevin Karbstein und Mitarbeiter:innen hauptsächlich von ThüringenForst wurden die Ergebnisse aus über 70 Jahren Hochlagenfichtenforschung zusammengefasst, bewertet und hinsichtlich ihrer Eignung für die forstliche Praxis und den zukünftigen Waldumbau diskutiert.

Praxisrelevante Merkmale zur Unterscheidung von Hoch- und Tieflagenfichtenbeständen am Beispiel der Oberhofer Schloßbergfichten. Foto: Karina Kahlert (14.03.2016), bearbeitet von Dr. Kevin Karbstein und Anke Bebber mit Informationen aus Apel et al. (1965)

Praxisrelevante Merkmale zur Unterscheidung von Hoch- und Tieflagenfichtenbeständen am Beispiel der Oberhofer Schloßbergfichten. Foto: Karina Kahlert (14.03.2016), bearbeitet von Dr. Kevin Karbstein und Anke Bebber mit Informationen aus Apel et al. (1965)

Wuchsform „Hochlagenfichte“

Innerhalb eines jungen Bestandes (<30-40 Jahre) zeichnen sich Hochlagenfichten durch einen früheren und schnelleren Austrieb, einen gedrungenen, kugeligen Wuchs mit teilweise starker Verzweigung, und insgesamt einer geringeren Gesamthöhe aus. Die Höhenunterschiede zwischen wenige Jahre alten Hoch- und Tieflagenfichten können erheblich sein (ca. 20 vs. 35-40cm). Der bei jungen Hochlagenfichten oft fehlende zweite Jahrestrieb (August- oder Johannistrieb genannt) wurde mehrfach erfolgreich als Höhenlagentest eingesetzt. Diese Anpassungen sind vermutlich die Ursache für die geringere Wuchsleistung von Hoch- im Vergleich zu Tieflagenfichten in unseren Mittelgebirgen. Ein weiteres Unterscheidungsmerkmal beider Wuchsformen ist die Anzahl der Bänder der Spaltöffnungen an der Unterseite der Nadeln, wie hier im Bild gezeigt.

Unterschiede in den Spaltöffnungen (Stomata) des Nadelblattes. Die Hochlagentypen haben durchschnittlicher weniger Bänder und Spaltöffnungen. Foto Stomata (29/30.10.2015) und Fichte (27.10.2015) im Hintergrund: Dr. Kevin Karbstein.

Unterschiede in den Spaltöffnungen (Stomata) des Nadelblattes. Die Hochlagentypen haben durchschnittlicher weniger Bänder und Spaltöffnungen. Foto Stomata (29/30.10.2015) und Fichte (27.10.2015) im Hintergrund: Dr. Kevin Karbstein.

Krone und Zapfen
Hochlagenfichten zeigen außerdem mit zunehmendem Baumalter eine bürsten- bis plattenartige Kronenverzweigung mit schmaler, walzenförmiger Krone, kürzeren Seitenästen, geringerem Kronendurchmesser, dichter sitzenden Nadeln und verkehrt eiförmigen Zapfenschuppenkörper (obovata-Typ) mit breit abgerundeter Spitze. Die in der forstlichen Praxis häufig angewandte Kronenverzweigung ist erst nach ca. 75 Jahren Entwicklungszeit sicher ansprechbar. Die Kronenmerkmale der Hochlagenfichten bedingen vermutlich eine höhere Bruchfestigkeit gegenüber Sturm und Nebelfrost.

Fichte im Hintergrund: ezp via Getty Images; Foto Zapfenschuppen: Greger, O. (1992): Erfassung von Relikten des autochthonen Fichtenvorkommens im Hochharz. Aus dem Walde 44: S. 1–319, bearbeitet von Anke Bebber

Fichte im Hintergrund: ezp via Getty Images; Foto Zapfenschuppen: Greger, O. (1992): Erfassung von Relikten des autochthonen Fichtenvorkommens im Hochharz. Aus dem Walde 44: S. 1–319, bearbeitet von Anke Bebber

Fichten-Genetik und Waldumbau

Insgesamt ist bei der Unterscheidung von Hoch- und Tieflagenfichten zu beachten, dass die morphologischen Unterschiede wahrscheinlich nur durch sehr wenige DNA-Unterschiede und vor allem durch umweltabhängige Veränderungen außerhalb der DNA (epigenetisch) erzeugt werden. Die erwähnten morphologischen Unterschiede treten aufgrund häufigen genetischen Austausches oft nur graduell auf, was deren Ansprache erschwert. Die Studien deuten außerdem darauf hin, dass je nach Umweltbedingungen immer wieder eine bestimmte Variante aus dem regionalen Genpool selektiert wurde. Die Schadereignisse des 20. Jahrhunderts mit der Einbringung gebietsfremder Tieflagenfichten in Gebirgslagen haben dieses Gleichgewicht gestört. Durch die Wiedereinbringung angepasster Fichtengenotypen können die Mischwälder der Berglagen wieder stabilisiert und für die Zukunft gestärkt werden.

Balkendiagramme der Genotypenfrequenz (z.B. A/A) an zwei Stellen des Gigantea Gens (a GI6- 1089, b GI6-1207) für den (von links nach rechts) plattigen, intermediären (bürstigen) und kammartigen Fichtentyp. N repräsentiert die Stichprobenanzahl. Foto: Caré et al. (2020)

Balkendiagramme der Genotypenfrequenz (z.B. A/A) an zwei Stellen des Gigantea Gens (a GI6- 1089, b GI6-1207) für den (von links nach rechts) plattigen, intermediären (bürstigen) und kammartigen Fichtentyp. N repräsentiert die Stichprobenanzahl. Foto: Caré et al. (2020)

Quellen:

Karbstein et al. (2021). “High-altitude spruces” in Central Europe – a summarizing contribution to phenotypic and (epi)genetic differentiation within Picea abies (L.) H.KARST.

Schreiber, A., Elmer, W. und Erlbeck, G. (1999): Die Orkankatastrophe und Borkenkäferkalamität im Thüringer Wald 1946 bis 1954 – 50 Jahre danach. Mitteilungen des Thüringer Forstvereins e.V., Sonderdruck.

Apel, J. und Hoffmann, J. (1965): Über Vorkommen und Zusammensetzung autochthoner Höhenfichtenbestände und die Bedeutung der Fichtentypen für die Bewirtschaftung der höheren Lagen des Thüringer Waldes. Die sozial. Forstwirtschaft 15: S. 242–246.

Caré, O., Gailing, O., Müller, M., Krutovsky, K. V. und Leinemann, L. (2020): Crown morphology in Norway spruce (Picea abies [KARST.] L.) as adaptation to mountainous environments is associated with single nucleotide polymorphisms (SNPs) in genes regulating seasonal growth rhythm.

Fichtenborkenkäfer

Borkenkäfer-Arten

Die Fichte ist Thüringens häufigste Baumart. Ihre bedeutendsten Schädlinge sind Borkenkäfer, allen voran der Buchdrucker (Ips typographus), der mittelalte bis alte Fichten mit dicker Rinde befällt. Der viel kleinere Kupferstecher (Pityogenes chalcographus) bevorzugt dünne Rinde, die er an jungen Fichten, aber auch im Kronenbereich älterer Bäume findet. Weitere Borkenkäfer-Arten sind z.B. der Doppeläugige Fichtenbastkäfer (Polygraphus poligraphus) oder der Gefurchte Fichtenborkenkäfer (Pityophthorus pityographus). Die beiden bevorzugen, wie der Kupferstecher, dünne Rinde. Außerdem können Buchdrucker und Co. neben der Fichte auch andere Baumarten wie Kiefern, Lärchen oder Douglasien befallen.

Buchdrucker (*Ips typographus*), ThüringenForst

Buchdrucker (Ips typographus), ThüringenForst

Leben in der Borke

Buchdrucker und Kupferstecher gehören zu den Rindenbrütern, bei denen sich die ausgewachsenen Käfer in die Rinde lebender Bäume einbohren und dort ihre Eier ablegen. Aus den Fraß- bzw. Brutbildern, die so entstehen, kann auf die jeweilige Käferart geschlossen werden: Das Brutbild des Buchdruckers ähnelt einem aufgeschlagenen Buch, und das des Kupferstechers erinnert entfernt an Kupferstiche.

Das Käfermännchen legt zunächst den Paarungsort an, die sogenannte Rammelkammer. Von dort aus fressen die begatten Weibchen Gänge in die Rinde, in welchen sie ihre Eier ablegen. Nach dem Schlupf fressen sich die Larven durch die umliegende Bastschicht (Siehe Titelbild).

Schadpotenzial

Die Käferlarven und Jungkäfer ernähren sich vom Bast der Bäume. Das ist die Schicht, in dem der Nährstofftransport von der Krone in den Stamm und die Wurzeln stattfindet. Zerstören die Larven durch ihren Fraß die Bastschicht, wird die Nährstoffversorgung unterbrochen. Der Stoffwechsel der Wurzeln wird gestört und die Bäume nehmen weniger Wasser auf oder sterben ab.

Ein Borkenkäfer-Weibchen kann bis zu 160.000 Nachkommen produzieren, das Schadpotential der Käfer ist also enorm. Der Klimawandel bringt vielerorts höhere Temperaturen mit sich, auch im Herbst und Spätherbst. Damit verlängert sich die Schwärmzeit der Borkenkäfer, und sie können noch mehr Nachkommen produzieren. Das macht Borkenkäfer zu Gewinnern des Klimawandels.

Die Rolle geschwächter Bäume

Die meisten Borkenkäfer sind eigentlich Sekundärschädlinge, die sich in geschwächten oder absterbenden Bäumen bzw. frisch eingeschlagenem Holz entwickeln. Nach Schadereignissen wie Sturm oder Schneebruch fällt aber oft viel Brutmaterial an. Darin können sich die Käfer massenhaft vermehren, und es entwickeln sich so viele Käfer, dass das Abwehrvermögen gesunder Fichten (Harzfluss) überwunden wird.

Auch bei langanhaltender Trockenheit, wie etwa in der Dürrephase 2018 bis 2020, kann der Harzfluss infolge des Wassermangels nahezu zum Erliegen kommen, so dass schon Einbohrversuche weniger Käfer ausreichen können, um die Wirtsabwehr zu brechen.

Harzfluss, ThüringenForst

Harzfluss, ThüringenForst

Erkennung von Befall

Da die Baumkrone noch lange grün sein kann, ist ein Borkenkäferbefall aus der Ferne zunächst nicht unbedingt erkennbar. Aus der Nähe fallen jedoch Einbohrlöcher zwischen den Rindenschuppen auf. Braunes Bohrmehl am Stammfuß oder zwischen den Rindenschuppen ist das wichtigste Indiz für frischen Befall, sowie Harztropfen auf der Rinde oder helle Flecken, wo Spechte auf der Suche nach Nahrung die Rinde abgeschlagen haben. Die eindeutige Feststellung erfolgt jedoch mit einem Blick unter die Rinde, wo Eier, Larven oder Käfer zu finden sind. Wird ein Befall erkannt, muss der Baum rechtzeitig vor dem Ausflug der Jungkäfer gefällt werden. Zu spät ist es, wenn sich die Nadeln verfärben und abfallen und sich die Rinde ablöst. Von abgestorbenen Fichten geht für den umliegenden Wald keine Gefahr mehr aus, denn sie sind als Brutmaterial nicht mehr geeignet.

Bohrmehl auf Rindenschuppen (groß) und am Fuß eines Fichtenstamms (klein, unten), Bohrloch des Buchdruckers (klein, oben)

Bohrmehl auf Rindenschuppen (groß) und am Fuß eines Fichtenstamms (klein, unten), Bohrloch des Buchdruckers (klein, oben), ThüringenForst

Natürliche Feinde

Borkenkäfer haben zahlreiche natürliche Feinde, die unter „Normalbedingungen“ für ein Gleichgewicht im Waldökosystem sorgen. Die wichtigsten Antagonisten sind räuberische Fliegen und Käfer, wie der auffällig schwarz-rot-weiß gefärbte Ameisenbuntkäfer (Thanasimus formicarius), sowie parasitische Wespen. Auch Spechte und andere Vögel, sowie Pilzkrankheiten und Bakterien können die Käfer dezimieren. Diese Gegenspieler können Massenvermehrungen der Borkenkäfer nicht verhindern, aber zumindest in ihrem Ausmaß begrenzen. Außerdem können sie eine wichtige Rolle beim Zusammenbruch der Borkenkäferpopulation und in der anschließenden Phase bis zum nächsten Anstieg der Borkenkäferzahl spielen.

Ameisenbuntkäfer (*Thanasimus formicarius*)

Ameisenbuntkäfer (Thanasimus formicarius), ThüringenForst

Der Walddoktor

Die Story-Serie „Der Walddoktor“ entsteht in Zusammenarbeit des Max-Planck-Instituts für Biogeochemie und der TU Ilmenau mit dem Forstlichen Forschungs- und Kompetenzzentrum Gotha von ThüringenForst im Rahmen des Projektes „Der Walddoktor“. Dieses wird durch das Bundesamt für Bildung und Forschung, das Förderprogramm „Wir! – Wandel durch Innovation in der Region“ und das Bündnis Holz-21-regio gefördert.“

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