Alle Artikel, die sich mit der übergeordneten Projektarbeit der Forschungsgruppe beschäftigen.
„Die Weiterentwicklung von KI-Methoden wird zentrale Impulse für die Umwelt- und Biodiversitätsforschung schaffen“
/in Projekt/von floraincognitaInterview mit Prof. Patrick Mäder über das Zusammenspiel von Informatik, Biologie und Big Data
Als junge Forschergruppe an der TU Ilmenau vereint das Fachgebiet Data-intensive Systems and Visualization Group (dAI.SY) mit derzeit über 20 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern und vielen studentischen Mitarbeitenden unter Leitung von Prof. Patrick Mäder vielfältige Expertise in den Bereichen Informatik, Ingenieurwissenschaften und angrenzenden Wissenschaftsgebieten. Neben Maschine Learning und zuverlässiger Software hat sich in den vergangenen Jahren die Biodiversitätsinformatik zu einem Schwerpunktthema des Fachgebiets herauskristallisiert. Damit möchte das Forschungsteam zum Erhalt der Biodiversität beitragen. UNIonline hat mit Prof. Mäder über die Forschungen in diesem Bereich gesprochen.
Mit dem Forschungsschwerpunkt Biodiversitätsinformatik bewegen Sie sich an der Schnittstelle von Informatik, Biologie und Big Data und führen damit die Themen Digitalisierung und Nachhaltigkeit zusammen. Was hat sie motiviert, in diesem Bereich und speziell zum Thema Biodiversität zu forschen?
In den Jahren 2006 und 2012 habe ich an mehrwöchigen Expeditionen nach Sibirien teilgenommen unter der Leitung von Prof. Christian Wirth, dem Gründungsdirektor des Deutschen Zentrums für integrative Biodiversitätsforschung iDiv, und Prof. Ernst-Detlef Schulze, Gründungsdirektor des Max-Planck-Instituts für Biogeochemie. Gemeinsam führten wir unter abenteuerlichen Bedingungen ökologische Untersuchungen durch, die sehr einprägsam waren und mein Bewusstsein für Biodiversität verändert haben: Der Klimawandel ist eine große Bedrohung für die Menschheit, und der Verlust der biologischen Vielfalt geht damit Hand in Hand. Wir müssen aufhören, in Silos zu denken und die Kompetenzen verschiedener Wissenschaftsbereiche zusammenbringen, um diese komplexen Zusammenhänge zu untersuchen, sie zu verstehen und Grundlagen für Lösungen zu erarbeiten. Unser Flora-Incognita-Projekt schafft genau das.
Bis vor kurzem hatten Biologen keinen Zugang zu sehr großen Datenmengen, die sie analysieren konnten. Dies hat sich jedoch in den letzten Jahrzehnten geändert und ermöglicht es Forschern wie Ihnen, diese Daten zu nutzen, um ökologische Fragestellungen zu untersuchen. Mit was für Daten arbeiten Sie dabei?
Wir arbeiten mit ganz verschiedenen Datentypen, vorrangig mit Fotos, aber auch mit Standortdaten, multispektralen Bilddaten, die mehr als die drei von Menschen wahrnehmbaren Farbkanäle und damit auch für das menschliche Auge nicht sichtbare Informationen erfassen, und Punktwolken, das heißt Ansammlungen von sehr vielen Messpunkten, dievon Laserscannern erzeugt wurden. Am bekanntesten sind wahrscheinlich die Beobachtungsdaten, die wir seit Jahren für die automatische Pflanzenbestimmung in der Flora-Incognita-App einsetzen: Millionen von Nutzerinnen und Nutzer weltweit sorgen jeden Tag dafür, dass wir Bildnachweise von Pflanzen mit deren Fundorten verknüpfen können, um damit die Verbreitung von Arten analysieren und vorhersagen zu können.
Ergänzt werden diese Informationen durch kuratierte Observationen von ausgewählten Expertinnen und Experten über die Flora-Capture-App. Aber unsere Forschungsgruppe beschränkt sich nicht nur auf Pflanzen. Für die Erkennung von Phytoplankton und Insekten verarbeiten wir mikroskopische Bilddaten. Hinzu kommen spezielle multispektrale Bilddaten für die automatische Identifizierung von Pollen. Und für die Bewertung von Waldbeständen nutzen wir Punktwolken, die mit LIDAR-Sensoren, einer dem Radar verwandten Methode zur optischen Abstands- und Geschwindigkeitsmessung, erfasst werden. Mit solchen Daten können wir dann beispielsweise Aussagen über die Wasserqualität treffen oder dazu beitragen, dass urbane Flächen bienenfreundlicher gestalten werden.
Im Rahmen der interdisziplinären Forschungsgruppe KI4Biodiv – Künstliche Intelligenz in der Biodiversitätsforschung möchten Sie gemeinsam mit dem Max-Planck-Institut für Biogeochemie diese KI-Methoden und -Technologien weiterentwickeln und verbessern, um die Biodiversität in verschiedenen Lebensräumen und Landschaften effizient, schnell und automatisiert überwachen zu können. Inwiefern stellt das Monitoring der biologischen Vielfalt eine besondere Herausforderung für Sie als Forschende dar?
Um die Herausforderungen zu verstehen, müssen wir uns zunächst ansehen, was das Monitoring der biologischen Vielfalt überhaupt bedeutet: Es ermöglicht, Veränderungen im räumlich-zeitlichen Auftreten von Arten wahrzunehmen und zu dokumentieren. Darunter fällt natürlich die Verbreitung von Arten: Wo geht die Vielfalt zurück, wo wird sie größer? Aber das Biodiversitätsmonitoring schließt auch anderes mit ein, wie zum Beispiel Phänologie: Wann blühen Pflanzen, wann tragen sie Früchte und wann wird das Herbstlaub bunt? Solche Monitoring-Daten weisen auf Veränderungen der Biodiversität hin, sie dienen der Erforschung von Ursachen dieser Veränderungen und zeigen auf, ob Strategien und Maßnahmen zum Schutz der Biodiversität wirken.
Natürlich bergen derartige Beobachtungen auch große Herausforderungen, vor allem in drei Bereichen: Sie sind teuer, brauchen viel Zeit und ein hervorragendes taxonomisches Wissen. Es bedarf also zahlreicher Methoden und Konzepte, um ein effektives Biodiversitätsmonitoring zu betreiben und die obengenannten Herausforderungen zu meistern – deswegen stehen automatisierte Erfassungs- und Auswertungsmethoden im Mittelpunkt der Forschung.
Wie wichtig ist dabei die interdisziplinäre Zusammenarbeit von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern unterschiedlicher Fachbereiche?
Es ist sehr spannend zu sehen, welche Quellen für Monitoring-Daten bereits jetzt verfügbar sind und wie diese in Zukunft gestalten werden. Um das ganze Potenzial zu heben, ist hier ein interdisziplinärer Forschungsansatz von großer Bedeutung: Biologinnen und Biologen erheben zum Beispiel meist eher kleinskalige Felddaten zu ausgewählten Arten, mit überschaubaren Datenmengen. Diese in-situ-Aufnahmen können wiederum die großen Datenmengen, die in der Fernerkundung über Luft-und Satellitendaten entstehen, kalibrieren und validieren. Die Informatik hält inzwischen ein großes Repertoire an Methoden des maschinellen Lernens und der künstlichen Intelligenz bereit, welche zur Aufnahme und Analyse solcher Datenmengen genutzt werden können. Die Anwendung und Weiterentwicklung von KI-Methoden kann und wird also zentrale Impulse für die Weiterentwicklung in der Umwelt- und Biodiversitätsforschung schaffen.
Welchen Nutzen erhoffen Sie sich von der Überwachung der Biodiversität für ihren Erhalt?
Alles, was wir erforschen, dient am Ende einem großen Ziel: Die globale Biodiversität zu erhalten. Die Überwachung steht dabei an erster Stelle, denn nur, wenn wir wissen, wie es um die Vielfalt steht – lokal, regional, im zeitlichen Kontext –, kann Ursachenforschung betrieben werden. Auf Basis dieser Ergebnisse können schließlich Maßnahmen entwickelt werden, die den Verlust von Biodiversität verhindern oder zumindest verringern können. Biodiversitätsmonitoring ist somit die Voraussetzung für politische Entscheidungen und dient schließlich auch wieder der Evaluation von Erfolgen solcher Maßnahmen.
Foto: TU Ilmenau/ari
Interview: Technische Universität Ilmenau
Unsere Flora Incognita App geht mit MS Wissenschaft auf Tour
/in Flora Incognita++, Projekt/von Anke BebberDas Ausstellungsschiff MS Wissenschaft startete am 03.05.2022 auf Deutschlandtour, auch mit Flora Incognita an Bord. Die Flora Incognita App ist eines von 25 ausgewählten Exponaten, die Menschen jeden Alters in dem schwimmenden Science Center zum Entdecken, Ausprobieren und Mitmachen einladen. Nicht nur junge Menschen ab etwa zwölf Jahren können hinter die Forschungskulissen schauen und werden so neugierig auf Wissenschaft und Forschung gemacht. Auf ihrer viereinhalbmonatigen Fahrt bis zum 16. September legt die MS Wissenschaft, eine Initiative des Bundesministeriums für Bildung und Forschung, in 31 Städten an, unter anderem an Spree, Rhein, Neckar, Mosel und Saar.
Flora Incognita, die App zur automatischen Pflanzenbestimmung, ist mit mehr als fünf Millionen Installationen überaus erfolgreich. Aber welche Technik steckt dahinter? Welche Methoden haben die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler bei der Entwicklung der App angewendet? Was motivierte sie, die App zu entwickeln? Und welchen Beitrag können Privatpersonen zur Überwachung der Biodiversität und damit zum Schutz der Natur leisten? Antworten auf diese Fragen erhalten die Besucherinnen und Besucher an Bord der MS Wissenschaft – und dabei ist Anfassen ausdrücklich erlaubt. Im Bauch des umgebauten Frachtschiffs wird die Flora Incognita auf einem Touchscreen simuliert. So können Naturbegeisterte auf einer virtuellen Wiese verschiedene Pflanzenarten auswählen. Sie erfahren dabei, wie die Pflanzen heißen und welche Bedeutung sie für den Naturschutz und für die Wissenschaft haben. Anhand von Karten und Videos wird gezeigt, wie die Flora Incognita einen wichtigen Beitrag zur Dokumentation der Pflanzenvielfalt leistet.
Auf der MS Wissenschaft ist die Flora Incognita in der Regel täglich von 10 bis 19 Uhr zu erleben, Schulklassen sind schon ab 9 Uhr willkommen. Zusätzlich zur Ausstellung gibt es in vielen Städten entlang der Route ein Rahmenprogramm mit Diskussionsveranstaltungen, wissenschaftlichen Filmabenden und Workshops für Schulklassen. Der Eintritt zur Ausstellung ist frei.
Link: MS Wissenschaft
Bildquelle: Ilja C. Hendel/Wissenschaft im Dialog, CC BY-SA 4.0
Digitales Imkern zum Lernen und Spielen
/in Flora Incognita++, Kooperationen, Projekt/von floraincognitaMit der App „beeactive“ des Vereins Bienenforschung Würzburg können Kinder und Jugendliche spielend mehr über Bienen und die Biodiversität verschiedener Wildpflanzen in ihrer Umgebung lernen. Das Ziel soll sein, den Natur- und Artenschutz in den Fokus zu rücken und ihr Bewusstsein dafür zu erweitern. Flora Incognita stellt hierbei die automatische Bestimmung der Pflanzenarten als wichtigen Spielinhalt von „beeactive“ zur Verfügung.
Erkunde mit der virtuellen Imkerin Melli Fera spielerisch die Welt des Imkerns!
Stelle Augmented-Reality-Bienenvölker auf und versorge diese mit Nektar und Pollen der (realen) umliegenden Pflanzen! Die Verbindung von beeactive und Flora Incognita macht es möglich, sowohl in das Thema Bienenkunde/Imkern einzutauchen, als auch Deine Artenkenntnis zu erweitern! Je mehr verschiedene Arten und Bienenweiden Du findest, desto besser geht es Deinem Bienenvolk – und wenn genug Nahrung vorhanden ist, kannst Du auch weitere Stöcke aufstellen.

Blühkarte der Region München
Aber beeactive ist mehr: Als Serious Game unterstützt es bei der Erstellung ganz realer, lokaler und regionaler Blühkarten. Diese zeigen Imker:innen auf, welche Tracht in welcher Menge wo verfügbar ist. Hier kannst Du sehen, wie so etwas aussieht: -> Blühkarte
Filtere nach Nektar- und Pollenangebot oder nach dem Pflanzentyp, oder finde heraus, wie Du ganz konkret das Nahrungsangebot vor Ort für Wild- und Honigbienen verbessern kannst.
Ergänzt wird das Spiel durch vielfältige Informationen über die Ökologie von Honig- und Wildbienen, sowie zu Grundlagen von ökologischen Zusammenhängen. Ein integriertes Quiz ermöglicht eine direkte Anwendung des neuen Wissens und festigt das Gelernte.
Weitere Informationen findest Du auf folgender Webseite: https://beeactive.app/.
Die App „beeactive“ wurde von Porf. Tautz und Florian Schimpf entwickelt und aus Mitteln der Bayerischen Sparkassenstiftung finanziert. Sie ist kostenlos im Google Play Store und im App Store von Apple erhältlich.
#Krautschau: Die Pflanzen der Pflasterritzen entdecken
/in Flora Incognita App, Flora Incognita++, Projekt/von Anke BebberDie Pflanzen in Städten sind wahre Überlebenskünstler – sie können Tritt- und Fahrbelastungen, Hitze, Bodenverdichtung und Verschmutzung trotzen und sind deshalb wertvolle Mikro-Ökosysteme für zahlreiche Insekten und andere Organismen. Leider werden die Pflanzen, die aus dem Asphalt oder aus den Mauerritzen ragen von vielen Menschen entweder gar nicht oder oft nur als „Unkraut“ wahrgenommen.
Die Stadtbotanik-Aktion #Krautschau wollte mit einen bundesweiten Aktionstag am 17. Juli mehr Bewusstsein für die Präsenz von Wildpflanzen im urbanen Raum und für die Bedeutung von Natur in den Städten schaffen. Die Aktion wurde von Julia Krohmer vom Senckenberg Museum in Frankfurt/Main gemeinsam mit Alexandra-Maria Klein von der Universität Freiburg koordiniert. An der bundesweiten Aktion, die erstmals in dieser Form stattfindet, beteiligten sich etliche weitere Institutionen und Botaniker*innen in mehreren deutschen Städten.
Mit einem Stück Kreide und mit unserer „Flora Incognita“ App gingen viele Menschen in ihren Heimatstädten auf die Suche nach Pflanzen. Zwischen Mauerritzen, Pflastersteinen und Gehwegen konnten verschiedenste Pflanzenarten entdeckt werden. Nach der erfolgreichen Bestimmung wurden die Pflanzennamen mit der Kreide an die nächstgelegene Häuserwand oder Gehwegplatte geschrieben. Anschließend wurden die Bilder unter den Hashtags #Krautschau und #MehrAlsUnkraut in den sozialen Netzwerken geteilt – so erhielten die „pflanzlichen Kämpfernaturen“ vor Ort und im Netz Aufmerksamkeit.
#Krautschau ist eine schönes Beispiel wie man auf die pflanzliche Vielfalt aufmerksam machen kann. Und mit unserer App war es auch für botanische Laien möglich, den Pflanzen einen Namen zu geben.
Diese Aktion lässt sich auch wunderbar in den Unterricht integrieren. Auf der Seite des Landesinstituts für Pädagogik und Medien in Saarland stellt dafür Lehrmaterialen zur Verfügung.
Weitere Artikel:
Lehrmaterialen:
Automatische Pflanzenbestimmung mit der Flora Helvetica App
/in Flora Incognita++, Kooperationen, Projekt/von floraincognitaWir freuen uns über eine erfolgreiche Zusammenarbeit mit dem Haupt Verlag. Seit der Version 2.3 enthält die Flora Helvetica App eine Funktion zur automatischen bildbasierten Bestimmung der Pflanzen, die im Rahmen des Flora Incognita Projektes zur Verfügung gestellt wird. Somit ist es erstmals möglich mit einer einzigen App die Pflanzen automatisch wie auch manuell mit dem integrierten Bestimmungsschlüssel zu bestimmen.
Weitere Informationen zur Flora Helvetica App finden Sie auf folgender Seite:
Kosmos „Was blüht den da“ in unserer Flora Incognita App
/in Flora Incognita++, Kooperationen, Projekt/von floraincognita„Was blüht denn da?“ – immer mobil dabei!
Alle Käufer*innen der aktuellen Auflage der zwei Bücher „Was blüht denn da? Das Original“ und „Was blüht denn da? Der Fotoband“ haben die Möglichkeit, die Inhalte Ihres „Was blüht denn da?“ auf Ihrem Smartphone mit dabei zu haben.
Nach Eingabe eines Codes in unserer Bestimmungs-App „Flora Incognita“ werden bei allen Pflanzen, die im „Was blüht denn da?“ enthalten sind, die entsprechenden Texte und Abbildungen angezeigt.
Den Code kann unter den Einstellungen der App „Zusatzfunktion aktivieren…“ eingegeben werden.
Je nachdem welcher Einstellungen freigeschaltet sind, ändern sich die Steckbriefe. Die Flora Incognita Steckbriefe werden durch die KOSMOS Steckbriefe ersetzt.
Bei weiteren Fragen kontaktieren Sie bitte direkt KOSMOS.
„Nur was man kennt, möchte man auch bewahren“
/in Projekt/von floraincognitaJana Wäldchen und ihr Team vom Max-Planck-Institut für Biogeochemie haben maßgeblich an der App Flora Incognita mitgearbeitet, die Pflanzenbestimmung wesentlich vereinfacht. Wir sprachen mit ihr, wie Artenkenntnis zur Artenvielfalt beiträgt, welche Pflanzenarten besonders bedroht sind und wie gebietsfremde Spezies einheimische Arten verdrängen.
Welche Rolle spielen Citizen-Science-Projekte wie Flora Incognita beim Schutz der Artenvielfalt?
Projekte mit Bürgerbeteiligung wie Flora Incognita erfüllen zwei wichtige Rollen. Zum einen vereinfachen sie den Bestimmungsprozess. Interessierte können nun einfach, schnell und ziemlich genau einer unbekannten Pflanze einen Namen geben. Dadurch wird die pflanzliche Vielfalt besser wahrgenommen und die Menschen werden für die Natur und deren Schutzbedürftigkeit sensibilisiert.
Eine weitere wichtige Rolle spielt natürlich auch die Dokumentation der Pflanzenvielfalt. So profitieren auch die Wissenschaft und der behördliche Naturschutz von der App: Durch die Speicherung der erkannten Arten und ihrer Standorte entstehen äußerst wertvolle Datensätze, mit denen Fragen des Artenschutzes und der Biodiversität erforscht werden können. Langfristig ermöglichen die Daten der Flora Incognita-App neue Erkenntnisse zum Beispiel zu den Fragen: Wann und wo blühen welche Arten? Wie stark variieren die Eigenschaften einer Pflanzenart? Wie verändern sich die Zusammensetzung und Standorte der Pflanzen im Zusammenhang mit dem Klimawandel und der Art der Landnutzung?
Die App Flora Incognita existiert schon seit zwei Jahren. Was hat sich seitdem verändert?
Das Ziel des Projektes ist, die Pflanzenbestimmung zu vereinfachen und so für viele Menschen die Wahrnehmung der pflanzlichen Vielfalt zu stärken. In zahlreichen E-Mails und Kommentaren von Nutzerinnen und Nutzern sehen wir, dass wir auf einen guten Weg sind, dieses Ziel zu erreichen. Wir bekommen nicht nur das Feedback, wie gut die Erkennung ist. Viele Menschen schreiben auch, dass die einfache Bestimmung ihnen den Blick auf die Artenvielfalt erweitert hat.
Kommentare wie „Endlich gehen wir nicht mehr ‚blind‘ durch den Wald!“ oder „Damit kann man spielerisch der Umwelt näherkommen“ zeigen, dass mit der App ein wesentlicher Beitrag geleistet wird, die pflanzliche Diversität bewusst zu machen. Wir sind sehr froh, dass wir dieses Ziel erreicht haben. Artenkenntnis ist eine wichtige Voraussetzung für den Artenschutz, denn nur was man kennt, möchte man auch bewahren.
Wie erleichtert die App die Pflanzenbestimmung?
Wer von uns kennt die Situation nicht? Beim Wandern entdecken Sie eine Pflanze, über die Sie gern mehr erfahren würden. Wie heißt die Pflanze, ist sie giftig oder steht sie womöglich unter Naturschutz? Herkömmliche Bestimmungsschlüssel sind für Laien sehr komplex, die Bestimmung der Pflanzen ist zeitintensiv und durch die Verwendung zahlreicher Fachbegriffe meist schwierig. Dadurch entsteht eine große Hürde für Interessierte, Pflanzen zu bestimmen und mehr über sie zu erfahren.
Bildbände haben die Bestimmung für die häufigsten Arten erleichtert, jedoch haben wir diese nicht immer dabei oder sie bilden nur einen Teil der Pflanzenvielfalt ab. Mit der von uns entwickelten Flora Incognita-App ist es nun möglich, einfach, schnell und auch ziemlich genau die Pflanzen zu bestimmen. Mit der Kamera des Smartphones fotografieren Sie die Blüte, dann eventuell noch das Blatt und in Sekundenschnelle erhalten Sie einen Vorschlag zum Namen der Pflanze sowie weiterführende Informationen, wie beispielsweise den lokalen Schutzstatus, wichtige Pflanzenmerkmale, Verbreitungsgebiete oder auch Hinweise zu ähnlichen, leicht zu verwechselnden Arten.
Wie oft wurde die App heruntergeladen? Wie viele Pflanzen wurden damit schon bestimmt?
Die App wurde bereits mehr als eine Million Mal heruntergeladen. Über acht Millionen Bestimmungen wurden schon durchgeführt. Bis heute wurden mit Flora Incognita zirka 4600 verschiedenen Arten bestimmt.
Sind mit Hilfe der App Rückschlüsse auf botanische Vielfalt in bestimmten Ökosystemen möglich?
Die mit der App gesammelten Pflanzenobservationen sind nicht systematisch und geben nur das wieder, was die Nutzerinnen und Nutzer in der Natur sehen und wofür sie sich interessieren. Das heißt: Wir erhalten Informationen darüber, welche Arten in bestimmten Gebieten vorkommen. Wir können jedoch keine Aussage darüber treffen, ob bestimmte Arten nicht vorkommen. So werden häufige und sehr auffällige Arten öfter bestimmt als die seltenen und unauffälligen Arten.
Nichtsdestotrotz können wir nach nur zwei Vegetationsperioden für einige Arten ähnliche Verbreitungsmuster erkennen wie bei der floristischen, deutschlandweiten und systematischen Kartierung. Das zeigt das Potential der App, die floristische Kartierung langfristig zu ergänzen. Wir sind sehr zuversichtlich, dass wir im Herbst dieses Jahres so viele Observationen gesammelt haben, dass wir detailliertere Aussagen zur Pflanzenvielfalt in verschiedenen Gebieten treffen können.
Was wir jedoch jetzt schon sagen können ist, dass die meisten Bestimmungen im urbanen Raum stattfinden, also in der unmittelbaren Wohnumgebung. Die am häufigsten fotografierten Arten sind Stickstoffzeiger, wie Schafgarbe (Achillea millefolium agg.), Löwenzahn (Taraxacum), Gundermann (Glechoma hederacea agg.) oder die Knoblauchsrauke (Alliaria petiolata), die primär in anthropogen geprägten Habitaten vorkommen. Gleichzeitig sehen wir auch, dass die App oft im Urlaub verwendet wird. So sind die Beobachtungszahlen in Verhältnis zur Einwohnerzahl im Jahr 2019 an der Nord- und Ostsee sowie im Alpenraum höher als in anderen Gebieten.
Welche Pflanzenarten sind besonders bedroht?
In Deutschland sind fast ein Drittel der heimischen Wildpflanzen gefährdet. Das geht aus der Roten Liste der Farn- und Blütenpflanzen, Moose und Algen hervor, die das Bundesamt für Naturschutz im Dezember 2018 vorgestellt hat. So verzeichnen viele Arten aufgrund der intensiven Landwirtschaft einen starken Rückgang, wie zum Beispiel das Flammen-Adonisröschen (Adonis flammea), eine Art, die in Mitteleuropa auf kalkreichen und flachgründigen Getreidefeldern vorkommt. Auch das Rundblättrige Hasenohr (Bupleurum rotundifolium), das ähnliche Ansprüche aufweist, ist vielerorts verschwunden.
Eine weitere besonders bedrohte Artengruppe sind jene, die in naturnahen, insbesondere nährstoffarmen, mageren Standorten vorkommen. Denken wir an die Wiesen-Küchenschelle (Pulsatilla pratensis) und das Katzenpfötchen (Antennaria dioica). Aber auch charakteristische Moorarten wie die Sonnentauarten (Drosea spec.) oder der Fieberklee (Menyanthes trifoliata) sind als gefährdet eingestuft. Für den Rückgang dieser Arten ist der zunehmende Nährstoffeintrag die wesentliche Ursache. Neben den Rote-Liste-Arten gibt es auch Arten, für deren Schutz Deutschland international verantwortlich ist, weil sie entweder nur in Deutschland vorkommen oder in größeren Populationen als im Vergleich zu anderen Ländern. Beispiele sind der Berg-Ahorn (Acer pseudoplatanus) oder auch die Rot-Buche (Fagus sylvatica).
Welche Ökosysteme bedürfen eines besonderen Schutzes?
Wie gesagt, besonders viele vom Aussterben bedrohte oder gefährdete Artengruppen kommen auf nährstoffarmen Standorten wie z. B. Heiden, Magerrasen und Mooren vor. Aber auch artenreiche Mähwiesen, Streuobstwiesen, Flussauen, alpine Rasen oder Küstendünen bedürfen eines besonderen Schutzes.
Welche Neophyten kommen in Deutschland besonders häufig vor?
Neophyten sind Pflanzen, die nach 1492, in ein Gebiet gelangt sind, in dem sie natürlicherweise nicht vorkamen. In Deutschland sind mehr als 400 Neophyten fest etabliert. Davon sind mehr als 50 Arten vom Bundesamt für Naturschutz als invasiv oder potentiell invasiv eingestuft. Viele von uns kennen die weit verbreitete Kanadische Goldrute (Solidago canadensis), das Orientalische Zackenschötchen (Bunias orientalis), den Japanischer Staudenknöterich (Fallopia japonica), den Riesen-Bärenklau (Heracleum mantegazzianum) und das Drüsige Springkraut (Impatiens glandulifera).
Diese sogenannten invasiven, gebietsfremden Arten bereiten sowohl Probleme im Naturschutz als auch wirtschaftliche Schäden z. B. durch die Minderung von Ernten, erhöhten Pestizideinsatz in Land- und Forstwirtschaft oder erhöhte Kosten bei der Instandhaltung von Straßen, Wasser- und Schienenwegen. Der Riesen-Bärenklau und die Beifußblättrige Ambrosie (Ambrosia artemisiifolia) enthalten zudem Stoffe, die Verbrennungen oder Allergien beim Menschen verursachen können.
Invasive Arten gelten weltweit – nach der Zerstörung der Lebensräume – als die zweitgrößte Gefährdung der biologischen Vielfalt. Invasive Arten treten vor allem in Konkurrenz um Lebensraum und Ressourcen mit den einheimischen Arten. Sie können dadurch einzelne einheimische Arten oder auch ganze Artengemeinschaften verdrängen. Ein prominentes Beispiel für die Umgebung rund um unseren Arbeitsort Jena ist das Orientalische Zackenschötchen. Durch seine rasante Ausbreitung verdrängt es die heimischen und seltenen Pflanzenarten der artenreichen Wiesen- und Halbtrockenrasen-Biotope. Früherkennung und schnelle Reaktion sind kritische Prozesse, um die Verbreitung und Etablierung invasiver Arten zu verhindern.
Wie geht es mit der App weiter?
Während wir in den letzten Jahren vor allem an der App und der automatischen Erkennung gearbeitet haben, werden wir im Folgeprojekt Flora Incognita++ vorrangig die Observationsdaten auswerten. Hier bedarf es an Untersuchungen zur automatischen Qualitätssicherung. Zudem wollen wir Aussagen über Blühzeiträume, Verbreitungen oder Koexistenzen treffen können.
Natürlich haben wir auch bei der automatischen Erkennung noch nicht alle unsere Qualitätsansprüche erreicht. Im Folgeprojekt werden wir speziell für bestimmungskritische Artengruppen wie z. B. die Süß- und Sauergräser die Erkennungsalgorithmen verbessern.
Zudem arbeiten wir an unserer dritten App (Flora Key), die einen interaktiven Bestimmungsschlüssel beinhaltet und eine manuelle Bestimmung anhand morphologischer Eigenschaften der Pflanze erlaubt. Dieser Bestimmungsschlüssel wird zudem auch in die Flora Incognita-App integriert werden.
Das Flora Incognita-Projekt wird gemeinsam durch das Bundesministerium für Bildung und Forschung, das Bundesamt für Naturschutz und Thüringer Ministerium für Umwelt, Energie und Naturschutz gefördert und wird weiterhin wie bisher einen umsetzungsorientieren Ansatz verfolgen. Die Brücke zu schlagen zwischen Wissenschaft, Bevölkerung und Behörden ist und bleibt ein wichtiges Ziel unserer Forschungsgruppe.
Herzlichen Dank für das Gespräch!
Interview: Barbara Abrell (Max-Planck-Gesellschaft)
Pflanzenbestimmungs-App „Flora Incognita“ mit Thüringer Forschungspreis ausgezeichnet
/in Flora Incognita, Projekt/von floraincognita
Ein Drittel der in Deutschland vorkommenden Pflanzenarten steht als gefährdet auf der Roten Liste. Gleichzeitig sinkt die Anzahl der Menschen mit Artenkenntnis kontinuierlich. Doch wie können wir schützen, was wir nicht kennen? Das Forschungsprojekt Flora Incognita verbindet Smartphones, künstliche Intelligenz und Bürgerbeteiligung in einer App, die interaktiv und automatisch Pflanzen anhand von Bildaufnahmen erkennt. Mit jeder erfolgreichen Anwendung lernt die App dazu und verbessert ihre Erkennungsgenauigkeit. Gleichzeitig entstehen durch die Speicherung der erkannten Arten und Standorte wertvolle Datensätze, um Fragen des Artenschutzes und der Biodiversität zu beantworten. Derzeit nutzen bereits über 1 Mio. Menschen die kostenlose App, von begeisterten Laien bis hin zum Biologie-Professor. Das interdisziplinäre Projektteam vom Max-Planck-Institut für Biogeochemie in Jena und der TU Ilmenau wurde für seine Entwicklung mit dem Thüringer Forschungspreis in der Kategorie Angewandte Forschung geehrt.
Neben dem Klimawandel stellt der Verlust der biologischen Vielfalt eine der größten Bedrohungen für die Menschheit dar. Pflanzen bilden die Grundlage der Nahrungsnetze auf unserer Erde. Verändert sich deren Zusammensetzung, so wird das gesamte Ökosystem mit seinen wichtigen Funktionen für Tiere und Menschen beeinflusst. Eine zentrale Forderung des Artenschutzes liegt daher in der umfassenden Bestandserhebung und Überwachung der pflanzlichen Biodiversität. Doch immer weniger Menschen, selbst akademisch ausgebildete Biologen, können heute eine größere Zahl von Pflanzenarten sicher erkennen und ihr Vorkommen in einen ökologischen Zusammenhang stellen. Wie soll man für den Schutz der Artenvielfalt werben, wenn diese der Bevölkerung praktisch nicht bekannt ist?
„Wir entwickelten hierfür ein Verfahren zur interaktiven, automatischen Pflanzenbestimmung mit einer Smartphone-App“ erklärt die Biologin Dr. Jana Wäldchen, Projektleiterin am Max-Planck-Institut für Biogeochemie in Jena. „Denn was lag näher, als unsere botanischen Artenkenntnisse mit den neuesten Technologien des maschinellen Lernens und der ständig wachsenden Verfügbarkeit von mobilen Endgeräten wie Smartphones und Tablets zu kombinieren?“ Mit der Kamera des Smartphones fotografieren die Nutzer*innen die Blüte sowie gegebenenfalls das Blatt der unbekannten Pflanze, und in Sekundenschnelle erhalten sie von der App Informationen über die erkannte Art – nicht nur den Namen, sondern auch weiterführende Informationen.
Schon lange arbeiten Wissenschaftler*innen daran, Pflanzen anhand von Bildern automatisch zu erkennen. Die bisher entwickelten Modelle konnten botanische Merkmale wie z. B. Blatt- und Blütenformen oder Blütenfarbe extrahieren, aber die Auswahl der Merkmale war bereits problematisch. Für eine sichere Bestimmung mussten die Nutzer die entscheidenden Merkmale individuell auswählen, was sich als sehr arbeitsintensiv erwies und Expertenwissen erforderte. Klassifizierungen von mehr als 100 Arten waren kaum möglich.
Es gab lange kein Verfahren, das Pflanzenmerkmale aus einem Bild ohne vom Menschen vorgegebene Mustererkennung selbstständig extrahieren konnte. „In den letzten fünf Jahren haben wir hier durch tieflernende künstliche neuronale Netze (Deep Learning) und im Bereich Bildverarbeitung einen fundamentalen Durchbruch erzielt“, bestätigt der Informatiker Prof. Patrick Mäder (JP), Projektleiter an der TU Ilmenau. Dem Bilderkennungsverfahren der Flora Incognita App liegt ein künstliches neuronales Netzwerk zugrunde. Gefüttert mit mehr als zwei Millionen Pflanzenbildern, erlernte das Netzwerk von Flora Incognita die unterschiedlichen Pflanzenmerkmale von über 4800 Arten. Um Pflanzen möglichst genau zu bestimmen, ermittelt Flora Incognita den Bestimmungsort und gleicht diesen automatisch mit hinterlegten Verbreitungs-, Boden- und Klimadaten ab, was die Trefferquote weiter verbessert. Durch Programmierung eines situationsabhängigen Bestimmungsvorgangs kann die App außerdem, in Abhängigkeit von der ersten Trefferquote, weitere spezifische Informationen oder Bilder anfordern. Welche unterschiedlichen Bildperspektiven für die Bestimmung der Pflanzen am wichtigsten sind, wurde in umfangreichen wissenschaftlichen Studien untersucht.
Die kostenlose und werbefreie Flora Incognita App wurde bereits im Frühjahr 2018 veröffentlicht. Seit ihrem Erscheinen verzeichnet die App mehr als 1 Millionen Installationen und über 8 Millionen erfolgreiche Bestimmungen. Nicht nur Laien verwenden Flora Incognita, auch in botanischen Fachkreisen wird die App äußerst positiv bewertet und empfohlen.
Auch die Wissenschaft profitiert von der App: Durch die Speicherung der erkannten Arten und ihrer Standorte entstehen äußerst wertvolle Datensätze, mit denen Fragen des Artenschutzes und der Biodiversität erforscht werden können. Langfristig ermöglichen die Daten der Flora Incognita App neue Erkenntnisse zum Beispiel zu den Fragen: Wann und wo blühen welche Arten? Wie stark variieren die Eigenschaften einer Pflanzenart? Wie verändern sich die Zusammensetzung und Standorte der Pflanzen im Zusammenhang mit dem Klimawandel und der Art der Landnutzung? Erste Ergebnisse hierzu konnten bereits auf wissenschaftlichen Tagungen vorgestellt werden.
Das mehrfach preisgekrönte Flora-Incognita-Projekt wird von einem interdisziplinären Team von Wissenschaftler*innen aus Biologie, Physik, Medientechnik und Informatik des Max-Planck-Instituts für Biogeochemie und der TU Ilmenau vorangetrieben, das erfolgreich Sonderfinanzierungen einwerben konnte. So wurde das Projekt von 2014 bis 2020 durch das Bundesministerium für Bildung und Forschung, das Bundesamt für Naturschutz mit Mitteln des Bundesministeriums für Umwelt, Naturschutz und nukleare Sicherheit sowie durch die Stiftung Naturschutz Thüringen gefördert. Seit Herbst 2019 bearbeitet das Team das Anschlussvorhaben Flora Incognita++, gefördert durch das Bundesamt für Naturschutz mit Mitteln des Bundesministeriums für Umwelt, Naturschutz und nukleare Sicherheit, sowie durch das Thüringer Ministerium für Umwelt, Energie und Naturschutz.
Der Thüringer Forschungspreis wird alljährlich vom Thüringer Ministerium für Wirtschaft, Wissenschaft und Digitale Gesellschaft (TMWWDG) in den beiden Kategorien Grundlagenforschung und Angewandte Forschung ausgeschrieben. Die Preisverleihung und Gratulation durch Wissenschaftsminister Wolfgang Tiefensee fand dieses Jahr virtuell statt.