Blütenpollen effizient bestimmen

 

Ob Pollenflugvorhersage, Honiganalyse oder das Verstehen klimabedingter Veränderungen von Pflanzen-Bestäuber-Interaktionen – die Analyse von Blütenpollen spielt in vielen Forschungsbereichen eine wichtige Rolle. Goldstandard ist dabei nach wie vor die Mikroskopie, die jedoch viel Zeit und Expertise erfordert. Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler des Helmholtz-Zentrums für Umweltforschung (UFZ) und des Deutschen Zentrums für integrative Biodiversitätsforschung (iDiv) haben in Kooperation mit der Technischen Universität (TU) Ilmenau nun ein Verfahren entwickelt, mit dem sie die Pollenanalyse automatisieren können. Ihre Studie ist im Fachmagazin New Phytologist veröffentlicht.

Pollen wird in den Staubblättern einer Blüte produziert und besteht aus vielen winzigen Pollenkörnern, die das männliche Erbgut einer Pflanze für deren Fortpflanzung beherbergen. Die Pollenkörner verfangen sich in den Härchen vorbeistreifender nektarsaugender Insekten und werden so von Blüte zu Blüte transportiert. Dort bleibt er im besten Fall an der klebrigen Narbe derselben Pflanzenart hängen, und es kann zu einer Befruchtung kommen. „Die bestäubenden Insekten machen diesen Pollen-Kurierdienst zwar ganz nebenbei, doch ist er von unschätzbar hohem ökologischen und auch wirtschaftlichen Wert“, sagt Dr. Susanne Dunker, Leiterin der Arbeitsgruppe Bildbasierte Zytometrie im Department Physiologische Diversität an UFZ und iDiv. „Insbesondere vor dem Hintergrund des Klimawandels und dem zunehmenden Verlust von Arten ist es wichtig, diese Pflanzen-Bestäuber-Interaktionen besser zu verstehen.“ Die Pollenanalyse ist dafür ein entscheidendes Instrument.

Pollenkörner haben eine für die jeweilige Pflanzenart charakteristische Form, Oberflächenstruktur und Größe. Um die zwischen 10 und 180 Mikrometer großen Pollenkörner einer Probe zu bestimmen und zu zählen, galt bislang die Mikroskopie als Goldstandard. Die Arbeit am Mikroskop erfordert jedoch eine große Expertise und ist sehr zeitaufwendig. „Zwar gibt es bereits verschiedene Ansätze zur Automatisierung der Pollenanalyse, doch können diese Methoden entweder nah verwandte Arten nicht unterscheiden oder keine quantitativen Aussagen über die Anzahl der in einer Probe enthaltenen Pollenkörner treffen“, sagt die UFZ-Biologin Dunker. Doch genau das ist für viele Fragestellungen in der Forschung, etwa zur Interaktion zwischen Pflanzen und Bestäubern, wichtig.

In ihrer aktuellen Studie hat das Forscherteam  ein neuartiges Automatisierungsverfahren für die Pollenanalyse entwickelt. Dafür kombinierte es den Hochdurchsatz der bildbasierten Durchflusszytometrie, ein Verfahren der Partikelanalyse, mit einer Form der künstlichen Intelligenz (KI), dem sogenannten Deep Learning – und entwarf damit ein hocheffizientes Analyse-Tool, das neben der exakten Artbestimmung auch eine Quantifizierung der in einer Probe enthaltenen Pollenkörner möglich macht. Die bildbasierte Durchflusszytometrie ist ein vorwiegend in der Medizin angewandtes Verfahren zur Analyse von Blutzellen, das nun auch der Pollenanalyse dient. „Eine zu untersuchende Pollenprobe wird zunächst in eine Trägerflüssigkeit gegeben, die dann einen enger werdenden Kanal durchfließt“, erklärt Susanne Dunker dieses Verfahren. „Durch die Verengung, werden die Pollenkörner separiert und wie auf einer Perlenschnur aufgereiht. So wandert jedes Pollenkorn einzeln durch das eingebaute Mikroskop-Element – bis zu 2.000 Pollen pro Sekunde können das sein.“ Zwei normale mikroskopische Bilder werden mit zehn fluoreszenzmikroskopischen Aufnahmen pro Pollen ergänzt. Dabei senden die Pollen, nachdem sie durch Laser mit Licht bestimmter Wellenlängen angeregt wurden, selbst Licht aus. „In welchem Bereich des Farbspektrums und wo genau die Pollen fluoreszieren, ist teilweise sehr spezifisch. Damit erhalten wir weitere Merkmale, die zur Identifizierung der jeweiligen Pflanzenart beitragen können“, sagt Susanne Dunker. Beim Deep learning abstrahiert ein Algorithmus in aufeinanderfolgenden Schritten die ursprünglichen Pixel eines Bildes immer stärker, um letztendlich die für eine Art spezifischen Eigenschaften zu extrahieren. „Die kombinierte Nutzung von mikroskopischen Aufnahmen, Fluoreszenzeigenschaften und Hochdurchsatz gab es in der Pollenanalyse bislang noch nicht – das ist tatsächlich ein absolutes Novum.“ Die Analyse einer wenig komplexen Probe dauert beispielsweise vier Stunden am Mikroskop, mit dem neuen Verfahren sind es nur noch 20 Minuten.

Die in der New Phytologist-Studie untersuchten Pollenproben stammten von 35 Wiesenpflanzenarten, darunter zum Beispiel Schafgarbe, Salbei, Thymian und verschiedene Klee-Arten wie Weiß-, Berg- und Wiesenklee. Insgesamt fertigten die Forscher rund 430.000 Bilder an, die den Grundstock für eine Datenbank bildeten. Diese wurde in Kooperation mit der TU Ilmenau mittels Deep Learning in ein hocheffizientes Werkzeug zur Pollenidentifizierung überführt. In anschließenden Untersuchungen testeten die Forscher die Treffsicherheit ihrer neuen Methode: Aus den 35 Pflanzenarten haben sie unbekannte Pollenproben mit der Datenbank verglichen. „Das Ergebnis war mehr als zufriedenstellend, die Genauigkeit lag bei 96 Prozent“, sagt Susanne Dunker. Dabei konnten sogar Arten, die selbst für Experten am Mikroskop schwer zu unterscheiden sind, sicher identifiziert werden. Die neue Methode ist also nicht nur extrem schnell, sondern auch hochpräzise.

Das neue Verfahren der automatisierten Pollenanalyse wird künftig bei wichtigen Forschungsfragen rund um die Pflanzen-Bestäuber-Interaktionen eine zentrale Rolle spielen. Wie wichtig sind bestimmte Bestäuber wie Biene, Fliege oder Hummel für eine Pflanzenart? Welche Konsequenzen hätte ein Verlust einer bestäubenden Insekten-Art oder einer Pflanze? „Wir sind nun in der Lage, in großem Umfang Pollenproben qualitativ und gleichzeitig quantitativ auszuwerten. Unsere Pollen-Datenbank insektenbestäubter Pflanzen erweitern wir dafür stetig“, sagt Susanne Dunker. Sie will die Datenbank auf mindestens jene 500 Pflanzenarten erweitern, deren Pollen für die Honigbiene als Nahrung relevant sind.

Publikation:

Dunker, S., Motivans, E., Rakosy, D., Boho, D., Maeder, P., Hornick, T., & Knight, T. M. (2021). Pollen analysis using multispectral imaging flow cytometry and deep learning. New Phytologist, 229(1), 593-606. https://doi.org/10.1111/nph.16882

Kosmos „Was blüht den da“ in unserer Flora Incognita App

„Was blüht denn da?“ – immer mobil dabei!

Alle Käufer:innen der aktuellen Auflage der Bücher „Was blüht denn da? Das Original“ und „Was blüht denn da? Der Fotoband“ vom KOSMOS-Verlag haben die Möglichkeit, die darin abgedruckten Pflanzensteckbriefe auf ihrem Smartphone immer mit dabei zu haben. Nach dem Kauf dieser Bücher erhalten Sie vom KOSMOS-Verlag einen 9-stelligen Code, den Sie unter den Einstellungen in der Flora-Incognita-App in den Zusatzfunktionen aktivieren können.

Nach Eingabe dieses Codes werden bei allen Pflanzen, die im „Was blüht denn da?“ enthalten sind, statt der üblichen Flora-Incognita-Inhalte die entsprechenden Texte und Abbildungen des KOSMOS-Verlags angezeigt. 

Weitere Informationen erhalten Sie direkt vom KOSMOS-Verlag: Zur Webseite des KOSMOS-Verlags

 

 

 

„Nur was man kennt, möchte man auch bewahren“

Jana Wäldchen und ihr Team vom Max-Planck-Institut für Biogeochemie haben maßgeblich an der App Flora Incognita mitgearbeitet, die Pflanzenbestimmung wesentlich vereinfacht. Wir sprachen mit ihr, wie Artenkenntnis zur Artenvielfalt beiträgt, welche Pflanzenarten besonders bedroht sind und wie gebietsfremde Spezies einheimische Arten verdrängen.

Welche Rolle spielen Citizen-Science-Projekte wie Flora Incognita beim Schutz der Artenvielfalt?

Projekte mit Bürgerbeteiligung wie Flora Incognita erfüllen zwei wichtige Rollen. Zum einen vereinfachen sie den Bestimmungsprozess. Interessierte können nun einfach, schnell und ziemlich genau einer unbekannten Pflanze einen Namen geben. Dadurch wird die pflanzliche Vielfalt besser wahrgenommen und die Menschen werden für die Natur und deren Schutzbedürftigkeit sensibilisiert.

Eine weitere wichtige Rolle spielt natürlich auch die Dokumentation der Pflanzenvielfalt. So profitieren auch die Wissenschaft und der behördliche Naturschutz von der App: Durch die Speicherung der erkannten Arten und ihrer Standorte entstehen äußerst wertvolle Datensätze, mit denen Fragen des Artenschutzes und der Biodiversität erforscht werden können. Langfristig ermöglichen die Daten der Flora Incognita-App neue Erkenntnisse zum Beispiel zu den Fragen: Wann und wo blühen welche Arten? Wie stark variieren die Eigenschaften einer Pflanzenart? Wie verändern sich die Zusammensetzung und Standorte der Pflanzen im Zusammenhang mit dem Klimawandel und der Art der Landnutzung?

Die App Flora Incognita existiert schon seit zwei Jahren. Was hat sich seitdem verändert?

Das Ziel des Projektes ist, die Pflanzenbestimmung zu vereinfachen und so für viele Menschen die Wahrnehmung der pflanzlichen Vielfalt zu stärken. In zahlreichen E-Mails und Kommentaren von Nutzerinnen und Nutzern sehen wir, dass wir auf einen guten Weg sind, dieses Ziel zu erreichen. Wir bekommen nicht nur das Feedback, wie gut die Erkennung ist. Viele Menschen schreiben auch, dass die einfache Bestimmung ihnen den Blick auf die Artenvielfalt erweitert hat.

Kommentare wie „Endlich gehen wir nicht mehr ‚blind‘ durch den Wald!“ oder „Damit kann man spielerisch der Umwelt näherkommen“ zeigen, dass mit der App ein wesentlicher Beitrag geleistet wird, die pflanzliche Diversität bewusst zu machen. Wir sind sehr froh, dass wir dieses Ziel erreicht haben. Artenkenntnis ist eine wichtige Voraussetzung für den Artenschutz, denn nur was man kennt, möchte man auch bewahren.

Wie erleichtert die App die Pflanzenbestimmung?

Wer von uns kennt die Situation nicht? Beim Wandern entdecken Sie eine Pflanze, über die Sie gern mehr erfahren würden. Wie heißt die Pflanze, ist sie giftig oder steht sie womöglich unter Naturschutz? Herkömmliche Bestimmungsschlüssel sind für Laien sehr komplex, die Bestimmung der Pflanzen ist zeitintensiv und durch die Verwendung zahlreicher Fachbegriffe meist schwierig. Dadurch entsteht eine große Hürde für Interessierte, Pflanzen zu bestimmen und mehr über sie zu erfahren.

Bildbände haben die Bestimmung für die häufigsten Arten erleichtert, jedoch haben wir diese nicht immer dabei oder sie bilden nur einen Teil der Pflanzenvielfalt ab. Mit der von uns entwickelten Flora Incognita-App ist es nun möglich, einfach, schnell und auch ziemlich genau die Pflanzen zu bestimmen. Mit der Kamera des Smartphones fotografieren Sie die Blüte, dann eventuell noch das Blatt und in Sekundenschnelle erhalten Sie einen Vorschlag zum Namen der Pflanze sowie weiterführende Informationen, wie beispielsweise den lokalen Schutzstatus, wichtige Pflanzenmerkmale, Verbreitungsgebiete oder auch Hinweise zu ähnlichen, leicht zu verwechselnden Arten.

Wie oft wurde die App heruntergeladen? Wie viele Pflanzen wurden damit schon bestimmt?

Die App wurde bereits mehr als eine Million Mal heruntergeladen. Über acht Millionen Bestimmungen wurden schon durchgeführt. Bis heute wurden mit Flora Incognita zirka 4600 verschiedenen Arten bestimmt.

Sind mit Hilfe der App Rückschlüsse auf botanische Vielfalt in bestimmten Ökosystemen möglich?

Die mit der App gesammelten Pflanzenobservationen sind nicht systematisch und geben nur das wieder, was die Nutzerinnen und Nutzer in der Natur sehen und wofür sie sich interessieren. Das heißt: Wir erhalten Informationen darüber, welche Arten in bestimmten Gebieten vorkommen. Wir können jedoch keine Aussage darüber treffen, ob bestimmte Arten nicht vorkommen. So werden häufige und sehr auffällige Arten öfter bestimmt als die seltenen und unauffälligen Arten.

Nichtsdestotrotz können wir nach nur zwei Vegetationsperioden für einige Arten ähnliche Verbreitungsmuster erkennen wie bei der floristischen, deutschlandweiten und systematischen Kartierung. Das zeigt das Potential der App, die floristische Kartierung langfristig zu ergänzen. Wir sind sehr zuversichtlich, dass wir im Herbst dieses Jahres so viele Observationen gesammelt haben, dass wir detailliertere Aussagen zur Pflanzenvielfalt in verschiedenen Gebieten treffen können.

Was wir jedoch jetzt schon sagen können ist, dass die meisten Bestimmungen im urbanen Raum stattfinden, also in der unmittelbaren Wohnumgebung. Die am häufigsten fotografierten Arten sind Stickstoffzeiger, wie Schafgarbe (Achillea millefolium agg.), Löwenzahn (Taraxacum), Gundermann (Glechoma hederacea agg.) oder die Knoblauchsrauke (Alliaria petiolata), die primär in anthropogen geprägten Habitaten vorkommen. Gleichzeitig sehen wir auch, dass die App oft im Urlaub verwendet wird. So sind die Beobachtungszahlen in Verhältnis zur Einwohnerzahl im Jahr 2019 an der Nord- und Ostsee sowie im Alpenraum höher als in anderen Gebieten.

Welche Pflanzenarten sind besonders bedroht?

In Deutschland sind fast ein Drittel der heimischen Wildpflanzen gefährdet. Das geht aus der Roten Liste der Farn- und Blütenpflanzen, Moose und Algen hervor, die das Bundesamt für Naturschutz im Dezember 2018 vorgestellt hat. So verzeichnen viele Arten aufgrund der intensiven Landwirtschaft einen starken Rückgang, wie zum Beispiel das Flammen-Adonisröschen (Adonis flammea), eine Art, die in Mitteleuropa auf kalkreichen und flachgründigen Getreidefeldern vorkommt. Auch das Rundblättrige Hasenohr (Bupleurum rotundifolium), das ähnliche Ansprüche aufweist, ist vielerorts verschwunden.

Eine weitere besonders bedrohte Artengruppe sind jene, die in naturnahen, insbesondere nährstoffarmen, mageren Standorten vorkommen.  Denken wir an die Wiesen-Küchenschelle (Pulsatilla pratensis) und das Katzenpfötchen (Antennaria dioica). Aber auch charakteristische Moorarten wie die Sonnentauarten (Drosea spec.) oder der Fieberklee (Menyanthes trifoliata) sind als gefährdet eingestuft. Für den Rückgang dieser Arten ist der zunehmende Nährstoffeintrag die wesentliche Ursache. Neben den Rote-Liste-Arten gibt es auch Arten, für deren Schutz Deutschland international verantwortlich ist, weil sie entweder nur in Deutschland vorkommen oder in größeren Populationen als im Vergleich zu anderen Ländern. Beispiele sind der Berg-Ahorn (Acer pseudoplatanus) oder auch die Rot-Buche (Fagus sylvatica).

Welche Ökosysteme bedürfen eines besonderen Schutzes?

Wie gesagt, besonders viele vom Aussterben bedrohte oder gefährdete Artengruppen kommen auf nährstoffarmen Standorten wie z. B. Heiden, Magerrasen und Mooren vor.  Aber auch artenreiche Mähwiesen, Streuobstwiesen, Flussauen, alpine Rasen oder Küstendünen bedürfen eines besonderen Schutzes.

Welche Neophyten kommen in Deutschland besonders häufig vor?

Neophyten sind Pflanzen, die nach 1492, in ein Gebiet gelangt sind, in dem sie natürlicherweise nicht vorkamen. In Deutschland sind mehr als 400 Neophyten fest etabliert. Davon sind mehr als 50 Arten vom Bundesamt für Naturschutz als invasiv oder potentiell invasiv eingestuft. Viele von uns kennen die weit verbreitete Kanadische Goldrute (Solidago canadensis), das Orientalische Zackenschötchen (Bunias orientalis), den Japanischer Staudenknöterich (Fallopia japonica), den Riesen-Bärenklau (Heracleum mantegazzianum) und das Drüsige Springkraut (Impatiens glandulifera).

Diese sogenannten invasiven, gebietsfremden Arten bereiten sowohl Probleme im Naturschutz als auch wirtschaftliche Schäden z. B. durch die Minderung von Ernten, erhöhten Pestizideinsatz in Land- und Forstwirtschaft oder erhöhte Kosten bei der Instandhaltung von Straßen, Wasser- und Schienenwegen. Der Riesen-Bärenklau und die Beifußblättrige Ambrosie (Ambrosia artemisiifolia) enthalten zudem Stoffe, die Verbrennungen oder Allergien beim Menschen verursachen können.

Invasive Arten gelten weltweit – nach der Zerstörung der Lebensräume – als die zweitgrößte Gefährdung der biologischen Vielfalt. Invasive Arten treten vor allem in Konkurrenz um Lebensraum und Ressourcen mit den einheimischen Arten. Sie können dadurch einzelne einheimische Arten oder auch ganze Artengemeinschaften verdrängen. Ein prominentes Beispiel für die Umgebung rund um unseren Arbeitsort Jena ist das Orientalische Zackenschötchen. Durch seine rasante Ausbreitung verdrängt es die heimischen und seltenen Pflanzenarten der artenreichen Wiesen- und Halbtrockenrasen-Biotope. Früherkennung und schnelle Reaktion sind kritische Prozesse, um die Verbreitung und Etablierung invasiver Arten zu verhindern.

Wie geht es mit der App weiter?

Während wir in den letzten Jahren vor allem an der App und der automatischen Erkennung gearbeitet haben, werden wir im Folgeprojekt Flora Incognita++ vorrangig die Observationsdaten auswerten. Hier bedarf es an Untersuchungen zur automatischen Qualitätssicherung. Zudem wollen wir Aussagen über Blühzeiträume, Verbreitungen oder Koexistenzen treffen können.

Natürlich haben wir auch bei der automatischen Erkennung noch nicht alle unsere Qualitätsansprüche erreicht. Im Folgeprojekt werden wir speziell für bestimmungskritische Artengruppen wie z. B. die Süß- und Sauergräser die Erkennungsalgorithmen verbessern.

Zudem arbeiten wir an unserer dritten App (Flora Key), die einen interaktiven Bestimmungsschlüssel beinhaltet und eine manuelle Bestimmung anhand morphologischer Eigenschaften der Pflanze erlaubt. Dieser Bestimmungsschlüssel wird zudem auch in die Flora Incognita-App integriert werden.

Das Flora Incognita-Projekt wird gemeinsam durch das Bundesministerium für Bildung und Forschung, das Bundesamt für Naturschutz und Thüringer Ministerium für Umwelt, Energie und Naturschutz gefördert und wird weiterhin wie bisher einen umsetzungsorientieren Ansatz verfolgen. Die Brücke zu schlagen zwischen Wissenschaft, Bevölkerung und Behörden ist und bleibt ein wichtiges Ziel unserer Forschungsgruppe.

Herzlichen Dank für das Gespräch!

Interview: Barbara Abrell (Max-Planck-Gesellschaft)

Pflanzenbestimmungs-App „Flora Incognita“ mit Thüringer Forschungspreis ausgezeichnet

 

 

Ein Drittel der in Deutschland vorkommenden Pflanzenarten steht als gefährdet auf der Roten Liste. Gleichzeitig sinkt die Anzahl der Menschen mit Artenkenntnis kontinuierlich. Doch wie können wir schützen, was wir nicht kennen? Das Forschungsprojekt Flora Incognita verbindet Smartphones, künstliche Intelligenz und Bürgerbeteiligung in einer App, die interaktiv und automatisch Pflanzen anhand von Bildaufnahmen erkennt. Mit jeder erfolgreichen Anwendung lernt die App dazu und verbessert ihre Erkennungsgenauigkeit. Gleichzeitig entstehen durch die Speicherung der erkannten Arten und Standorte wertvolle Datensätze, um Fragen des Artenschutzes und der Biodiversität zu beantworten. Derzeit nutzen bereits über 1 Mio. Menschen die kostenlose App, von begeisterten Laien bis hin zum Biologie-Professor. Das interdisziplinäre Projektteam vom Max-Planck-Institut für Biogeochemie in Jena und der TU Ilmenau wurde für seine Entwicklung mit dem Thüringer Forschungspreis in der Kategorie Angewandte Forschung geehrt.

Neben dem Klimawandel stellt der Verlust der biologischen Vielfalt eine der größten Bedrohungen für die Menschheit dar. Pflanzen bilden die Grundlage der Nahrungsnetze auf unserer Erde. Verändert sich deren Zusammensetzung, so wird das gesamte Ökosystem mit seinen wichtigen Funktionen für Tiere und Menschen beeinflusst. Eine zentrale Forderung des Artenschutzes liegt daher in der umfassenden Bestandserhebung und Überwachung der pflanzlichen Biodiversität. Doch immer weniger Menschen, selbst akademisch ausgebildete Biologen, können heute eine größere Zahl von Pflanzenarten sicher erkennen und ihr Vorkommen in einen ökologischen Zusammenhang stellen. Wie soll man für den Schutz der Artenvielfalt werben, wenn diese der Bevölkerung praktisch nicht bekannt ist?

„Wir entwickelten hierfür ein Verfahren zur interaktiven, automatischen Pflanzenbestimmung mit einer Smartphone-App“ erklärt die Biologin Dr. Jana Wäldchen, Projektleiterin am Max-Planck-Institut für Biogeochemie in Jena. „Denn was lag näher, als unsere botanischen Artenkenntnisse mit den neuesten Technologien des maschinellen Lernens und der ständig wachsenden Verfügbarkeit von mobilen Endgeräten wie Smartphones und Tablets zu kombinieren?“ Mit der Kamera des Smartphones fotografieren die Nutzer*innen die Blüte sowie gegebenenfalls das Blatt der unbekannten Pflanze, und in Sekundenschnelle erhalten sie von der App Informationen über die erkannte Art – nicht nur den Namen, sondern auch weiterführende Informationen.

Schon lange arbeiten Wissenschaftler*innen daran, Pflanzen anhand von Bildern automatisch zu erkennen. Die bisher entwickelten Modelle konnten botanische Merkmale wie z. B. Blatt- und Blütenformen oder Blütenfarbe extrahieren, aber die Auswahl der Merkmale war bereits problematisch. Für eine sichere Bestimmung mussten die Nutzer die entscheidenden Merkmale individuell auswählen, was sich als sehr arbeitsintensiv erwies und Expertenwissen erforderte. Klassifizierungen von mehr als 100 Arten waren kaum möglich.

Es gab lange kein Verfahren, das Pflanzenmerkmale aus einem Bild ohne vom Menschen vorgegebene Mustererkennung selbstständig extrahieren konnte. „In den letzten fünf Jahren haben wir hier durch tieflernende künstliche neuronale Netze (Deep Learning) und im Bereich Bildverarbeitung einen fundamentalen Durchbruch erzielt“, bestätigt der Informatiker Prof. Patrick Mäder (JP), Projektleiter an der TU Ilmenau. Dem Bilderkennungsverfahren der Flora Incognita App liegt ein künstliches neuronales Netzwerk zugrunde. Gefüttert mit mehr als zwei Millionen Pflanzenbildern, erlernte das Netzwerk von Flora Incognita die unterschiedlichen Pflanzenmerkmale von über 4800 Arten. Um Pflanzen möglichst genau zu bestimmen, ermittelt Flora Incognita den Bestimmungsort und gleicht diesen automatisch mit hinterlegten Verbreitungs-, Boden- und Klimadaten ab, was die Trefferquote weiter verbessert. Durch Programmierung eines situationsabhängigen Bestimmungsvorgangs kann die App außerdem, in Abhängigkeit von der ersten Trefferquote, weitere spezifische Informationen oder Bilder anfordern. Welche unterschiedlichen Bildperspektiven für die Bestimmung der Pflanzen am wichtigsten sind, wurde in umfangreichen wissenschaftlichen Studien untersucht.

Die kostenlose und werbefreie Flora Incognita App wurde bereits im Frühjahr 2018 veröffentlicht. Seit ihrem Erscheinen verzeichnet die App mehr als 1 Millionen Installationen und über 8 Millionen erfolgreiche Bestimmungen. Nicht nur Laien verwenden Flora Incognita, auch in botanischen Fachkreisen wird die App äußerst positiv bewertet und empfohlen.

Auch die Wissenschaft profitiert von der App: Durch die Speicherung der erkannten Arten und ihrer Standorte entstehen äußerst wertvolle Datensätze, mit denen Fragen des Artenschutzes und der Biodiversität erforscht werden können. Langfristig ermöglichen die Daten der Flora Incognita App neue Erkenntnisse zum Beispiel zu den Fragen: Wann und wo blühen welche Arten? Wie stark variieren die Eigenschaften einer Pflanzenart? Wie verändern sich die Zusammensetzung und Standorte der Pflanzen im Zusammenhang mit dem Klimawandel und der Art der Landnutzung? Erste Ergebnisse hierzu konnten bereits auf wissenschaftlichen Tagungen vorgestellt werden.

Das mehrfach preisgekrönte Flora-Incognita-Projekt wird von einem interdisziplinären Team von Wissenschaftler*innen aus Biologie, Physik, Medientechnik und Informatik des Max-Planck-Instituts für Biogeochemie und der TU Ilmenau vorangetrieben, das erfolgreich Sonderfinanzierungen einwerben konnte. So wurde das Projekt von 2014 bis 2020 durch das Bundesministerium für Bildung und Forschung, das Bundesamt für Naturschutz mit Mitteln des Bundesministeriums für Umwelt, Naturschutz und nukleare Sicherheit sowie durch die Stiftung Naturschutz Thüringen gefördert. Seit Herbst 2019 bearbeitet das Team das Anschlussvorhaben Flora Incognita++, gefördert durch das Bundesamt für Naturschutz mit Mitteln des Bundesministeriums für Umwelt, Naturschutz und nukleare Sicherheit, sowie durch das Thüringer Ministerium für Umwelt, Energie und Naturschutz.

Der Thüringer Forschungspreis wird alljährlich vom Thüringer Ministerium für Wirtschaft, Wissenschaft und Digitale Gesellschaft (TMWWDG) in den beiden Kategorien Grundlagenforschung und Angewandte Forschung ausgeschrieben. Die Preisverleihung und Gratulation durch Wissenschaftsminister Wolfgang Tiefensee fand dieses Jahr virtuell statt.