Studie zur Bestimmungsgenauigkeit: Flora Incognita erreicht 98,8 %

Über die Studie

Vor kurzem wurde eine wissenschaftliche Studie veröffentlicht, die in Großbritannien fünf Pflanzenbestimmungs-Apps hinsichtlich ihrer Bestimmungsgenauigkeit testete. Flora Incognita war nicht dabei, aber die für die Untersuchung aufgenommenen und ausgewerteten Bilder wurden mit publiziert. Das bot uns die Gelegenheit, unsere App mit diesem unabhängigen Bilddatensatz zu testen.

Das (erste) Ergebnis

Wir bestimmten die Bilder mit Flora Incognita und verglichen unsere Ergebnisse mit den Artnamen, die die Autor:innen erwarteten. In diesem ersten Durchgang lag Flora Incognita bei mehr als 90 % der Bilder richtig und übertraf damit bereits die anderen Apps. In einem nächsten Schritt wollten wir jedoch herausfinden, warum Flora Incognita bei den restlichen 10 % der Bilder (angeblich) falsche Artnamen liefert. Deswegen haben wir diese fraglichen Bilder in Zusammenarbeit mit externen Botanikern nochmals manuell überprüft. Dabei stellte sich heraus, dass Flora Incognita nur in wenigen Fällen tatsächlich falsch lag.

Gründe für „falsche“ Bestimmung

In den meisten Fällen bestimmte Flora Incognita richtig, und es gab andere Gründe, warum der vorgeschlagene Artname nicht der war, den die Autor:innen erwarteten:
1) Taxonomie. Es gibt mehrere parallel existierende Taxonomien mit manchmal leicht unterschiedlichen Konzepten, die aber alle gültig sind – was in einigen Fällen zu unterschiedlichen Namen oder unterschiedlichen taxonomischen Rängen (Art vs. Unterart) für dieselbe Pflanzenart führt.
2) Bestimmungsfehler. Manchmal war die erwartete Art falsch, und das App-Ergebnis richtig.
3) Biologie. Manchmal ist es nicht möglich, das Ergebnis einer App-Bestimmung als richtig oder falsch zu einzuordnen, da die Art auf dem Bild selbst von Expert:innen nicht mit Sicherheit auf Artniveau bestimmt werden kann.

Fazit
Wir möchten Dich ermutigen, bei einem unerwarteten Bestimmungsergebnis nicht gleich zu sagen: „Die App liegt falsch“. Frage Dich beim nächsten Mal: Kenne ich diese Art unter einem anderen Namen? War das Bild wirklich geeignet, um die Art zu bestimmen? Könnte es nicht doch die Art sein, die die App vorschlägt? Denn in unserer neuen Veröffentlichung zeigen wir, dass Flora Incognita nach einer gründlichen Untersuchung der Fehlerursachen des ersten Durchlaufs 98,8 % der Arten im gesamten Datensatz richtig bestimmt hat.

Hier kannst Du sie lesen (auf Englisch): Rzanny, M., Bebber, A., Wittich, H. C., Fritz, A., Boho, D., Mäder, P., & Wäldchen, J. (2024). More than rapid identification—Free plant identification apps can also be highly accurate. People and Nature, 00, 14. https://doi.org/10.1002/pan3.10676

7 Dinge, die Du noch nicht über Flora Incognita wusstest!

Am 22. November 2024 findet in Jena die Lange Nacht der Wissenschaften statt. Über diese Veranstaltung kannst Du Dich auf der Webseite der LNDW informieren: Lange Nacht der Wissenschaften (LNDW) Jena

Wir möchten Dich zu einem ganz besonderen Vortrag einladen, der 19:00 im Hörsaal des Max-Planck-Instituts für Biogeochemie stattfinden wird:

7 Dinge, die Du noch nicht über Flora Incognita wusstest!

Warum musste Pflanzenbestimmung neu gedacht werden? Wie entwickelt und betreibt man eigentlich eine App? Sind die Bestimmungen überhaupt verlässlich und was sagen uns die Daten über den Klimawandel oder den pH-Wert des Bodens? Diese und andere Fragen möchte das Team um Projektleiterin Dr. Jana Wäldchen in einem Vortrag beantworten. Die Wissenschaftler*innen geben hierbei Einblicke „hinter die Kulissen“ der beliebten Pflanzenbestimmungsapp und stehen im Anschluss von 20-21 Uhr für persönliche Gespräche bereit.

Bis dahin!

Neue Publikation: Erkennt eine Künstliche Intelligenz die Blattform?

Blattform und KI
Die automatische Erkennung von Pflanzenarten mittels künstlicher Intelligenz (KI) basiert maßgeblich auf der Analyse von Blattformen. Wie diese komplexen Strukturen von der KI interpretiert werden, ist jedoch oft schwer nachvollziehbar und stellt eine sogenannte ‚Black Box‘ dar. Insbesondere die hohe Variabilität von Blattformen innerhalb einer Art, wie sie beispielsweise beim heimischen Gold-Hahnenfuß Ranunculus auricomus zu beobachten ist, stellt die KI vor eine Herausforderung.

Geometrische Morphometrie
Um die Leistungsfähigkeit von KI-basierten Erkennungssystemen zu evaluieren und besser zu verstehen, haben wir geometrische Morphometrie als Werkzeug der erklärbaren KI (eXplainable KI oder auch XAI) eingesetzt. Diese Methode ermöglicht eine detaillierte quantitative Beschreibung von Formvariationen und erlaubt so einen direkten Vergleich zwischen den Ergebnissen der KI und einer etablierten morphometrischen Methode.

Experiment
Unser Fokus lag auf der Erkennung regionaler Populationsunterschiede beim Gold-Hahnenfuß. Wir untersuchten, ob die KI in der Lage ist, subtile morphologische Unterschiede zwischen verschiedenen Populationen anhand von einfachen Smartphone-Aufnahmen zu erkennen. Die Ergebnisse zeigen, dass die KI selbst bei komplexen Bildhintergründen zuverlässig charakteristische Merkmale der Blätter identifizieren kann. Die Übereinstimmung mit den Ergebnissen der geometrischen Morphometrie bestätigt die Leistungsfähigkeit der KI und unterstreicht das Potenzial dieser Technologie für die automatisierte Phänotypisierung in der Pflanzenforschung.

Bedeutung dieser Forschung
Unsere Studie liefert wichtige Erkenntnisse für den Einsatz von KI in der Pflanzenbestimmung und eröffnet neue Perspektiven für die Erforschung der biologischen Vielfalt. Die Kombination von KI und modernen morphometrischen Methodenermöglicht eine umfassende Analyse von Pflanzenmerkmalen und trägt so zu einem besseren Verständnis der Evolution und Anpassung von Pflanzen an unterschiedliche Umweltbedingungen bei.

Die Publikation ist ab sofort frei lesbar:
Hodač, L., Karbstein, K., Kösters, L., Rzanny, M., Wittich, H.C., Boho, D., Šubrt, D., Mäder, P. and Wäldchen, J. (2024), Deep learning to capture leaf shape in plant images: Validation by geometric morphometrics. Plant J. https://doi.org/10.1111/tpj.17053

Titelbild: Ranunculus auricomus, Ladislav Hodač

Umfrage zu Flora Incognita – bitte teilnehmen!

Wir brauchen Dein Feedback
Die Flora-Incognita-App ist seit April 2018 online. Zur Zeit wird sie einer umfassenden Evaluation unterzogen. Dazu brauchen wir Deine Rückmeldung als Nutzerin oder Nutzer: Was erwartest Du von der App? Wie nutzt Du sie? Welche Angebote und Funktionen gefallen Dir? Was können wir noch verbessern? Um diese und ähnliche Fragen zu beantworten, haben wir eine Umfrage in Auftrag gegeben, die etwa 10 Minuten Deiner Zeit beanspruchen wird.

Klicke hier, um teilzunehmen: Zur Umfrage

Herzlichen Dank für Dein Feedback!

Mit Pflanzen-App die Folgen des Klimawandels verstehen

Automatisierte Analysen von Pflanzenbeobachtungen zeigen, wie sich der Jahresrhythmus der Pflanzen verändert.

Leipzig. Ein Forschungsteam unter der Leitung des Deutschen Zentrums für integrative Biodiversitätsforschung (iDiv) und der Universität Leipzig hat einen Algorithmus entwickelt, der Beobachtungsdaten der App Flora Incognita analysiert. Daraus lassen sich ökologische Muster ableiten, die Aufschluss über die Auswirkungen des Klimawandels auf die Pflanzenwelt geben. Die Studie wurde im Fachmagazin Methods in Ecology and Evolution veröffentlicht.

Pflanzen reagieren auf jahreszeitliche Veränderungen, etwa indem ihre Knospen aufbrechen, sie Blätter austreiben oder blühen. Der Klimawandel könnte diese Phasen im Lebenszyklus von Pflanzen verschieben – und umgekehrt können Daten über solche phänologischen Veränderungen an vielen verschiedenen Orten und bei verschiedenen Pflanzen Rückschlüsse über die Auswirkungen des Klimawandels erlauben. Doch für solche Analysen werden viele Daten benötigt – ohne die Beteiligung von Bürgerwissenschaftlerinnen und Bürgerwissenschaftlern wäre eine Datenerfassung im großen Stil undenkbar. „Das Problem ist: Je weniger Menschen sich als Bürgerwissenschaftler an solchen Datensammlungen beteiligen, desto stärker leidet die Qualität der Daten“, sagt Erstautorin Karin Mora, Wissenschaftlerin an der Universität Leipzig und bei iDiv.

Mobile Apps wie Flora Incognita könnten hier Abhilfe schaffen. Sie ermöglichen es den Nutzerinnen und Nutzern, unbekannte Pflanzen, die ihnen in der Natur ins Auge fallen, anhand von Fotos zu identifizieren. „Wenn ich mit der App eine Pflanze aufnehme, dann wird diese Beobachtung mit einem Orts- und Zeitstempel versehen“, sagt Ko-Autorin Jana Wäldchen vom Max-Planck-Institut für Biogeochemie (MPI-BGC), die Flora Incognita gemeinsam mit Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern der TU Ilmenau entwickelt hat. „Damit haben sich inzwischen Millionen von zeitgestempelten Pflanzenbeobachtungen aus verschiedenen Regionen angesammelt.“ Zwar erfassen auch Erdbeobachtungssatelliten die Phänologie ganzer Ökosysteme von oben, mit den gewonnen Daten lässt sich aber nicht so leicht beurteilen, welche Prozesse tatsächlich am Boden ablaufen.

Pflanzen reagieren synchron

Die Forschenden entwickelten einen Algorithmus, der auf fast 10 Millionen Beobachtungen von fast 3000 Pflanzenarten zurückgriff, die zwischen 2018 und 2021 über die Flora Incognita-App in Deutschland erfolgten. Jede Pflanze verfügt über einen eigenen Rhythmus, also zum Beispiel eine eigene Blühphase oder eine eigene Vegetationsphase. Die Untersuchungen der Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler zeigten, dass aus diesem individuellen Verhalten ein Gruppenverhalten auftritt. Daraus konnten sie wiederum ökologische Muster ableiten und untersuchen, wie sich diese innerhalb eines Jahreszyklus verändern. So unterscheiden sich etwa Ökosysteme am Fluss von denen in den Bergen, wo phänologische Ereignisse später einsetzen.

Das Verfahren berücksichtigt auch das Beobachtungsverhalten der Nutzerinnen und Nutzer, das – anders als bei einer klassischen Datenerhebung – nicht systematisch erfolgt.  So werden über die App mehr Beobachtungen am Wochenende und in dicht besiedelten Gebieten verzeichnet. „Unsere Methode kann diese Effekte von den ökologischen Mustern automatisiert isolieren“, erklärt Karin Mora. „Weniger Beobachtungen bedeuten auch nicht, dass wir die Synchronisation nicht erfassen können. Natürlich gibt es im tiefen Winter sehr wenige Beobachtungen, aber da gibt es auch nur sehr wenige Pflanzen, die man beobachten kann.“

Es ist bekannt, dass sich aufgrund des Klimawandels auch jahreszeitliche Verschiebungen ergeben und der Frühling immer eher einsetzt – was das konkret für die Beziehung zwischen Pflanzen und Insekten und somit auch für die Ernährungssicherheit bedeutet, wird derzeit noch erforscht. Mithilfe des neuen Algorithmus lässt sich nun besser untersuchen, welche Auswirkungen diese Veränderungen auf die Pflanzenwelt haben.

Diese Studie wurde unter anderem von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG; FZT-118) und durch den iDiv-Flexpool gefördert. Die Arbeit des Forschungsteams wird zudem finanziert vom Sächsischen Ministerium für Wissenschaft, Kultur und Tourismus (SMWK), im Rahmen von Sondermitteln für die Exzellenzcluster-Initiative „Breathing Nature“.

 

Diese Meldung wurde uns von Kati Kietzmann vom iDiv zur Verfügung gestellt. Herzlichen Dank. Link zur Originalmeldung: Mit Pflanzen-App die Folgen des Klimawandels verstehen

 

Originalpublikation:

Karin Mora, Michael Rzanny, Jana Wäldchen, Hannes Feilhauer, Teja Kattenborn, Guido Kraemer, Patrick Mäder, Daria Svidzinska, Sophie Wolf, Miguel D. Mahecha (2024): Macrophenological dynamics from citizen science plant occurrence data. Methods in Ecology and Evolution, DOI: 10.1111/2041-210X.14365

Neue Publikation: Ein neuer Ansatz für das Auffinden und die Abgrenzung von Arten

Was ist eine Art? Wie wurden Arten in der Vergangenheit definiert und wie werden sie in Zukunft beschrieben? Wie viele Arten gibt es auf der Erde? Wie viele sind noch unentdeckt? Können wir sie schneller beschreiben, als sie durch Klimaveränderungen oder menschliche Einflüsse aussterben?

Von griechischen Philosophen wie Aristoteles über Charles Darwin und Lamarck bis heute haben sich Wissenschaftler mit diesen grundlegenden Fragen beschäftigt. Entgegen der öffentlichen Wahrnehmung sind sie jedoch bis heute weitgehend ungelöst geblieben.

Die moderne Genomik lehrt uns heute, dass das, was wir als Arten bezeichnen, aufgrund rein morphologischer, regionaler Artbeschreibungen aus der Vergangenheit unbegründete Einheiten sein können. Dies gilt insbesondere für Tier-, Pflanzen- und Pilzgruppen, die durch komplexe evolutionäre Prozesse wie Hybridisierung oder Asexualität gekennzeichnet sind. Hier werden die Herausforderungen der integrativen Taxonomie (Genomik + Morphologie + Ökologie etc.) deutlich: >30 Artkonzepte, Mangel an universellen Merkmalen/Markern, Fehlen geeigneter Analysewerkzeuge für große Datensätze und komplexe Evolutionsprozesse sowie stark autorenabhängige Datenintegration.

Um dies zu beheben, hat ein interdisziplinäres und internationales Forschungsteam (Biolog:innen, Informatiker:innen aus Deutschland, Spanien, China und USA) unter der Leitung von Dr. Kevin Karbstein, Lara Kösters, Dr. Ladislav Hodač, Martin Hofmann, Dr. Jana Wäldchen und Prof. Dr. Patrick Mäder vom Max-Planck-Institut für Biogeochemie und der Technischen Universität Ilmenau diese Fragen aufgegriffen und einen innovativen Übersichtsartikel verfasst, der jetzt in der renommierten Fachzeitschrift Trends in Ecology and Evolution (TREE; Open Access Link: https://www.cell.com/trends/ecology-evolution/fulltext/S0169-5347(23)00296-3) erschienen ist.

Die Autor:innen präsentieren hier die Vision einer modernen integrativen Taxonomie auf der Grundlage eines einheitlichen Artbegriffs in Kombination mit künstlicher Intelligenz (Deep Learning), die die Entdeckung genetischer Einheiten mit der Fusion automatisch extrahierter Informationen wie Morphologie, Physiologie, Ökologie oder Verhalten verbindet, um Arten als natürliche Einheiten zu entdecken. Dieser Prozess wird als Species Delimitation bezeichnet. Auf diese Weise kann künstliche Intelligenz dazu beitragen, die Entschlüsselung der biologischen Vielfalt in einem bisher nicht gekannten Ausmaß zu beschleunigen.

Vorgeschlagenes Schema einer auf maschinellem Lernen basierenden Implementierung für eine integrative Taxonomie

Kann man Flora Incognita in der Grundschule einsetzen?

Heute unterstützten Teile des Teams Flora Incognita eine Schule in Jena bei ihrem Projekt „Wiese“, um diese Frage zu beantworten. Das Fazit ist klar: Ja.

24 Schülerinnen und Schüler der ersten und zweiten Jahrgangsstufe packten gerade noch ihre Frühstücksdosen weg, als das Team Flora den Klassenraum der „Korallen“ betrat. 24 Augenpaare musterten die Neuankömmlinge, aber schnell gewann die Neugier die Oberhand. Die Kinder kannten bereits den Aufbau einer Blume (Blüte, Blatt und „Furzel“) und durften in den Stunden zuvor schon üben, erste Blüten anhand von Büchern zu bestimmen. Heute sollten sie vom Team Flora eine Einführung in das Thema „Artenvielfalt auf der Wiese“ bekommen. Außerdem wurden wir gebeten zu erklären, was eine App ist, und was es mit Flora Incognita auf sich hat.

Ein kurzer, interaktiver Vortrag, der die Kinder aktiv mit kleinen Quiz-Einlagen integrierte, bereitete auf die anschließende Exkursion nach draußen vor. Was ist eine Wiese, was unterscheidet sie von einem Wald, einem Strand, Röhricht oder einem Flussufer? Ist Gras gleich Gras? Und wie viele verschiedene Blümchen sind wohl auf einer Wiese in Jena zu finden? Mehr als 3? 5? 10? 15 oder sogar 20?

Mit einem Satz iPads und einem mobilen Router ausgestattet ging es anschließend auf eine nahe liegende Wiese, die mager genug war, um Habitat für 50 bis 80 Wildpflanzenarten zu sein. Hier konnten die Kinder in Dreiergruppen mit einem Tablet losziehen und die Pflanzenwelt erkunden. Gelber Hahnenfuß, lilafarbener Storchschnabel, blauer Wiesen-Salbei, weiße Margeriten, aber auch Zypressen-Wolfsmilch oder der kleine Wiesenknopf waren schnell gefunden. In etwa einer Stunde fanden manche der Sieben- bis Achtjährigen 29 verschiedene Pflanzenarten! Dabei war es die größere Herausforderung, Namen wie „Rauhaariger Alant“ oder „Gamander-Ehrenpreis“ zu lesen, als die App zu benutzen. Kleine Kniffe wie das Umdrehen des Geräts, so dass die Kamera nah am Boden ist, oder das Zoomen auf dem Bildschirm, um kleine Blüten groß zu fotografieren, waren schnell gelernt. Allerdings war es für die Schülerinnen und Schüler nur in wenigen Fällen möglich, Gräser und sehr filigrane Pflanzen so zu fotografieren, dass eine Bestimmung möglich war.

Fazit
Für uns war deutlich: Flora Incognita ist eine App, die auch für Schulkinder intuitiv genug ist, um selbstständig bedient zu werden. Die Bestimmungsgenauigkeit ist auch bei nicht optimalen Bildern gut genug, dass Kinder eine Stunde lang Erfolgserlebnisse haben. Natürlich bleiben die komplizierten Namen nicht lange im Kopf hängen, aber was bleibt war eine Stunde Spaß beim Entdecken der Natur und die Erkenntnis, dass eine Wiese doch mehr ist als grünes Gras.

 

Bildnachweis: Susanne Zaehle

Flora-Incognita-Beobachtungen ermöglichen phänologisches Monitoring in ganz Europa

Eine neue Studie aus unserem Forschungsprojekt zeigt, dass Pflanzenbeobachtungen, die mit Bestimmungs-Apps gesammelt werden, Aussagen über die Entwicklungsstadien von Pflanzen zulassen – sowohl kleinräumig als auch europaweit. [Studie lesen]

Warum ist die Dokumentation der Phänologie wichtig?

Viele Pflanzen in gemäßigten Klimazonen durchlaufen jedes Jahr einen Ablauf aus Blüte, Blattaustrieb, Fruchtbildung, Blattfärbung und Blattfall. Diesen Prozess nennt man Phänologie, und er und wird stark von lokalen klimatischen Bedingungen beeinflusst (zum Beispiel von der Anzahl der Tage im Jahr, an denen eine bestimmte zum Wachstum notwendige Mindesttemperatur erreicht wird, siehe „Growing Degree Day“ oder GDD). Deswegen ist es nicht verwunderlich, dass sich der Klimawandel stark auf die Phänologie auswirkt. Beispielsweise beginnt der Frühling mittlerweile früher als noch in den 1950er Jahren, wodurch die Vegetationsperiode viel schneller einsetzt als damals. Solche Veränderungen haben Auswirkungen auf landwirtschaftliche Abläufe und können außerdem auch zu ökologischen Ungleichgewichten führen: Pflanzen beginnen beispielsweise zu blühen, noch bevor ihre Bestäuber aktiv sind. Aber nicht alle Pflanzen reagieren gleichermaßen auf klimatische Veränderungen. Arten, die ein größeres Toleranzspektrum für warme Tage haben, oder bei denen andere Faktoren die Phänologie bestimmen, bleiben von Verschiebungen nahezu unberücksichtigt. Um ein wirklich präzises Verständnis für den Einfluss des Klimas auf die Pflanzenphänologie zu erlangen, ist es wichtig, die Phänologie von möglichst vielen verschiedenen Arten, in unterschiedlichen Ländern und geografischen Regionen zu dokumentieren.

Wie funktioniert das phänologische Monitoring?

Phänologie wird heute bereits über verschiedene Methoden dokumentiert. Satellitenbilder erkennen das Ergrünen ganzer Landstriche, Kameras in Baumkronen fertigen automatisierte Bilderserien über den Zustand der darunter liegenden Vegetationsschicht an. Solche Datensätze erlauben Aussagen über große Skalen, lassen aber kaum Rückschlüsse auf die Phänologie von einzelnen Arten oder gar Individuen zu. Hierfür gibt es Initiativen, die mit Hilfe von geschulten Freiwilligen durchgeführt werden. Die Zahl dieser Bürgerwissenschaftler:innen geht jedoch immer weiter zurück, und zudem ist diese Art der Datenerhebung in der Regel auf bestimmte Pflanzenarten (oftmals Bäume), Länder oder noch kleinere Regionen beschränkt.

Kann man mit Flora Incognita Phänologie dokumentieren?

Daten, die über Pflanzenbestimmungs-Apps wie Flora Incognita erhoben werden, können hier eine Lösung sein. Das haben die Wissenschaftler:innen unseres Projekts bereits 2023 nachgewiesen: Pflanzen werden vor allem dann wahrgenommen und fotografiert, wenn sie einerseits auffällig sind und zudem blühen, bunte Früchte tragen oder Herbstlaub. So entstehen Beobachtungsmuster, die phänologische Events anzeigen. Diese Muster decken sich in vielen Fällen mit denen, die der Deutsche Wetterdienst (DWD) in Bezug auf den Blühbeginn von Arten in Deutschland veröffentlicht. Angenommen, der DWD registriert in einem Jahr einen früheren Blühbeginn des Holunders als im Vorjahr, dann spiegelt sich diese Verschiebung auch in den Bestimmungsanfragen von Flora Incognita wider.

Details zu dieser Studie findest Du in diesem Artikel: Phänologie-Monitoring mit Flora-Incognita-Pflanzenbeobachtungen.

Neue Studie zeigt Phänologien und bioklimatische Zusammenhänge über ganz Europa

Unsere neue Publikation zeigt nun, dass Smartphone-Beobachtungen sogar bekannte überregionale phänologische Muster widerspiegeln, wie z. B.

  • die spätere Blüte vieler Arten in Nord- und Osteuropa oder
  • die spätere Blüte vieler Arten in größeren Höhenlagen, aber auch
  • eine europaweite Verschiebung des Blühbeginns zwischen den Jahren, wie es bereits für Deutschland nachgewiesen wurde.

Das beweist, dass die von Pflanzenbestimmungs-Apps generierten Daten eine zuverlässige Quelle für das Vorkommen von Pflanzen zu einem bestimmten Zeitpunkt und an einem bestimmten Ort sind und sich gut für die Beantwortung weiterer Forschungsfragen eignen – auch in größeren Maßstäben.

Die Ergebnisse der Studie im Überblick

Pflanzen blühen eher, wenn es mehr warme Tage gibt

Wir haben die europaweiten Beobachtungsdaten (Quellen: Flora Incognita, aber auch Meldeplattformen wie iNaturalist) aus 2020 und 2021 von 20 verschiedenen Pflanzenarten miteinander verglichen. Dabei konnten wir feststellen, dass insbesondere die Frühlingsblüher wie beispielsweise der Gamander-Ehrenpreis Veronica chamaedrys 2020 zeitiger geblüht haben – bis zu zwei Wochen eher als 2021.

 

Eine Analyse der Temperatur am jeweiligen Standort zeigte auf, dass es im Frühjahr 2020 deutlich mehr Tage gab, an denen im Mittel 5°C oder darüber erreicht wurden, die Pflanzen also in kürzerer Zeit mehr Wärme aufnehmen konnten. Bei Arten, die später im Jahr blühen, wie der Rainfarn Tanacetum vulgare oder der Gewöhnliche Natternkopf Echium vulgare, war der Effekt weniger ausgeprägt.

Pflanzen blühen später, wenn sie in höheren Lagen, weiter im Osten oder im Norden wachsen

Es waren jedoch nicht nur Muster zwischen den Jahren, sondern auch zwischen verschiedenen Regionen zu erkennen. Es ist bekannt, dass die gleiche Art je nach Standort zu unterschiedlichen Zeiten blüht. (-> Hopkins‘ bioklimatisches Gesetz) Wenn beispielsweise die gleiche Pflanzenart in Schweden und Spanien vorkommt, blüht die spanische Pflanze einige Tage oder sogar Wochen früher als die im Norden. Die genaue Anzahl der Tage bis zur Blüte variiert natürlich je nach Pflanzenart. Auch diese Gesetzmäßigkeit lässt sich mit Flora-Incognita-Daten abbilden:

Diese Abbildung zeigt den Median der Beobachtungsdaten für die drei bereits vorgestellten Pflanzenarten. Rosa und orange Farben zeigen an, dass die Art am jeweiligen Ort früh im Jahr blühte, während die gleiche Art an einem anderen Standort später blühte (dunkelgrün und blau codiert). Deutlich setzen sich nicht nur die Längen- und Breitengrade ab, sondern auch die Mittel- und Hochgebirge. Details zu den Daten und angewandten Methoden sind in der Publikation ersichtlich, die am E nde des Artikels verlinkt ist.

Alle untersuchten 20 Pflanzenarten ließen sich in eines von drei Hauptmustern eingliedern, die hier beispielhaft abgebildet sind. Veronica chamaedrys zeigt im Jahr 2020 mehr rötliche Farben als im Jahr 2021; wie bereits erwähnt ist dies auf die wärmeren Temperaturen im Frühjahr 2020 zurückzuführen. Echium vulgare zeigt über die Jahre hinweg nur geringfügige Reaktionen auf unterschiedliche Klimabedingungen, und für Tanacetum vulgare konnten wir feststellen, dass Phänologie im Vergleich zu den anderen Arten ein umgekehrtes Muster aufweist: Rainfarn blüht in östlichen, nördlichen und hohen Lagen eher als seine Geschwister in westlichen, südlichen und niedrig gelegeneren Teilen Europas. Auch dieses Phänomen wurde bereits in der wissenschaftlichen Literatur beschrieben. Arten, die eigentlich viele warme Tage bis zur Blüte brauchen, haben sich an kalte Standorte mit einer Verkürzung der Vegetationszeit und einem zeitigeren Blühtermin angepasst.

Zusammenfassung

Die neue Publikation zeigt zum ersten Mal auf einer europaweiten Skala zeitliche und räumliche Verschiebungen von Pflanzenphänologie anhand von Daten, die nicht gezielt für diesen Zweck gesammelt wurden. Für die Nutzer:innen von Flora Incognita bedeutet  das, dass jede einzelne Pflanzenbestimmung mehr als nur die eigene Neugierde befriedigt. Durch die Dokumentation von Pflanzenvorkommen zu einer bestimmten Zeit an einem bestimmten Ort schaffen sie eine wachsende und robuste Datenquelle zur Phänologie, die keine nationale Grenzen kennt, neue Arten mit einschließt und zahlreiche weiterführende Forschungsfragen beantworten kann.

Vielen Dank für Eure Neugier.

Die neue Veröffentlichung ist ab sofort frei verfügbar:

Rzanny, M., Mäder, P., Wittich, H.C. et al. Opportunistic plant observations reveal spatial and temporal gradients in phenology. npj biodivers 3, 5 (2024). https://doi.org/10.1038/s44185-024-00037-7

Veronica chamaedrys im Titelbild: aufgenommen von Ilse Schönfelder.

„Sonja Bernadotte-Preis für Wege zur Naturerziehung“ 2023 für Flora Incognita

Der „Sonja-Bernadotte-Preis für Wege zur Naturerziehung“ wird jährlich von der Deutschen Gartenbau-Gesellschaft 1822 e.V. (DGG) verliehen und ist als Auszeichnung für herausragende Leistungen für Wege zur Naturerziehung gedacht.
Der Preis soll den Stellenwert von Naturerziehung und Naturerfahrung bewusst machen, das Engagement für die Naturerziehung stärken und den Einsatz dafür finanziell unterstützen. Den Sonja-Bernadotte-Preis  im Jahr 2023 erhält die Pflanzenbestimmungs-App Flora Incognita. Das Kuratorium begründete seine Entscheidung damit, dass „Deutschlands beliebteste Pflanzenbestimmungs-App nicht nur von Laien geschätzt und millionenfach genutzt, sondern mittlerweile auch von Botaniker:innen eingesetzt und empfohlen wird.“ In der Erklärung für die Auswahl wurde insbesondere der hohe wissenschaftliche Anspruch und die Bedeutung als interdisziplinäres Citizen-Science-Projekt-hervorgehoben. „Sie ist ein exzellentes Beispiel für den sinnvollen und gewinnbringenden Einsatz von KI, für die Demokratisierung von Wissen und für moderne „Wege der Naturerziehung“, sowohl in der formellen Bildung von Kindern, Jugendlichen und Studierenden als auch für die informelle Erwachsenenbildung.“

Dr. Jana Wäldchen vom Max-Planck-Institut für Biogeochemie Jena und Prof. Patrick Mäder von der Technischen Universität Ilmenau nahmen die Auszeichnung am 20. Oktober 2023 in Jüchen auf Schloss Dyck in Empfang.

Mehr Information: Sonja Bernadotte-Preis

Jana Wäldchen und Patrick Mäder nahmen den Sonja Bernadotte-Preis 2023 in Empfang.

Blog-Banner, welches den Text "Neue Publikation verfügbar" enthält und blau-grüne Interpolationskarten von Deutschland, beschriftet mit "DWD" und "Flora Incognita". Die Karten sehen sich sehr ähnlich.

Phänologie-Monitoring mit Flora-Incognita-Pflanzenbeobachtungen

Bedeutung der Phänologie
Vor wenigen Tagen ist eine neue Publikation unserer Forschungsgruppe erschienen, die zeigt, dass die Pflanzenbeobachtungen, die über unsere App gesammelt wurden, traditionelle Initiativen zur Überwachung der Pflanzenphänologie unterstützen können. Warum ist das wichtig? Das Beobachten der Pflanzenphänologie hilft Wissenschaftler:innen beispielsweise dabei, zu verstehen, wie der Klimawandel auf Pflanzen wirkt. Verschieben sich Blühzeiträume aufgrund von veränderten klimatischen Verhältnissen, kann das für ökologische Zusammenhänge oder die Ausbreitung von Arten erhebliche Folgen haben. Traditionell werden die Phasen der Phänologie (z.B. Knospenaufbruch, Blattaustrieb, Blühbeginn und Blattfärbung) manuell durch geschulte Freiwillige aufgenommen – doch deren Anzahl nimmt stetig ab.

Traditionelle Phänologieüberwachung
In Deutschland wird das „offizielle“ Phänologie-Monitoring hauptsächlich vom Deutschen Wetterdienst (DWD) durchgeführt. Geschulten Beobachter:innen wird eine bestimmte „Station“ zugewiesen, die einem dedizierten Ort für die Beobachtung eines Baumes, Strauchs oder krautigen Pflanze entspricht. Die Anzahl dieser Stationen variiert je nach beobachteter Art. Das bedeutet, dass einige Arten mehr Stationen haben als andere. Während der Vegetationsperiode müssen die Beobachter:innen die von ihnen untersuchten Pflanzen mindestens zweimal pro Woche besuchen und den Tag notieren, an dem bestimmte Phäno-Phasen beginnen.

Prozessdiagramm, das zeigt, wie Pflanzenbeobachtungsdaten in Daten zum Blühbeginn umgewandelt werden und mit DWD (Deutscher Wetterdienst) Beobachtungsstationen für eine exemplarische Art in Beziehung gesetzt werden. (aus: Katal & Rzanny et al. 2023)

Prozessdiagramm, das zeigt, wie Pflanzenbeobachtungsdaten in Daten zum Blühbeginn umgewandelt werden und mit DWD (Deutscher Wetterdienst) Beobachtungsstationen für eine exemplarische Art in Beziehung gesetzt werden. (aus: Katal & Rzanny et al. 2023)

Aufbereitung von Flora-Incognita-Daten
Die Forschenden Negin Katal und Michael Rzanny entwickelten nun eine Möglichkeit, Flora-Incognita-Daten so zu verarbeiten, dass diese mit den beschriebenen DWD-Stationen vergleichbar werden: Sie identifizierten für verschiedene Arten die Standorte der DWD-Stationen und zogen einen 5 km großen Kreis um sie herum. Innerhalb dieses Kreises und eines bestimmten Höhenbereichs betrachteten sie alle Flora-Incognita-Beobachtungen dieser Art. Gab es mindestens 35 dieser Funde, wurde eine „Flora-Incognita-Station“ erstellt. Wenn diese nicht erreicht werden konnten, selbst nicht innerhalb eines zusätzlichen Puffers (in Schritten von je 1 km, bis zu 55 km), wurde an diesem Ort keine Flora-Incognita-Station gebildet.

Räumlich interpolierte Karten basierend auf den DWD- und Flora Incognita-Stationen für den Beginn der Blüte von Sambucus nigra und Taraxacum officinale in den Jahren 2020 und 2021. Die Farbskala zeigt den jeweiligen Tag im Jahr für den Blühbeginn in jeder Rasterzelle (aus: Katal & Rzanny et al. 2023).

Räumlich interpolierte Karten basierend auf den DWD- und Flora Incognita-Stationen für den Beginn der Blüte von Sambucus nigra und Taraxacum officinale in den Jahren 2020 und 2021. Die Farbskala zeigt den jeweiligen Tag im Jahr für den Blühbeginn in jeder Rasterzelle (aus: Katal & Rzanny et al. 2023).

Interpolation der Daten
Im nächsten Schritt wurde für jede dieser Flora-Incognita-Stationen der Blühbeginn in den Jahren 2020 und 2021 berechnet, und die Stationsdaten für ganz Deutschland interpoliert. Die so entstandenen Interpolationskarten zeigen für die meisten Arten ähnliche Ergebnisse wie die manuelle Dokumentation durch den DWD.

Fazit
Die Haupterkenntnis der Publikation ist, dass der Blühbeginn aus unseren Pflanzenbeobachtungen abgeleitet werden kann – zumindest für einjährige krautige Arten oder Sträucher mit auffälliger Blühphase. Damit können Flora-Incognita-Daten die traditionell gesammelten phänologischen Erhebungen großräumig, aber auch für eine Vielzahl neuer Arten, ergänzen. Dadurch können wir einen wertvollen Beitrag zur Dokumentation phänologischer Verschiebungen leisten, was unter anderem für die Dokumentation und das Verständnis des Klimawandels von großer Bedeutung ist.

Wir möchten uns bei Euch, den immer neugierigen Nutzer:innen, bedanken. Aus Euren Pflanzenbestimmungen entstand dieser Datensatz, und wir hoffen, ihr bleibt weiterhin motiviert, an Wegen und Wiesen, im Wald und am See, auf Bergen und am Strand Pflanzen zu entdecken und aufzunehmen.

Hier könnt Ihr das Paper lesen (nur auf Englisch):

Katal, N., Rzanny, M., Mäder, P., Römermann, C., Wittich, H. C., Boho, D., Musavi, T. & Wäldchen, J. (2023). Bridging the gap: How to adopt opportunistic plant observations for phenology monitoring Frontiers in Plant Science, 14.

doi: 10.3389/fpls.2023.1150956