„Die Weiterentwicklung von KI-Methoden wird zentrale Impulse für die Umwelt- und Biodiversitätsforschung schaffen“

Interview mit Prof. Patrick Mäder über das Zusammenspiel von Informatik, Biologie und Big Data

Als junge Forschergruppe an der TU Ilmenau vereint das Fachgebiet Data-intensive Systems and Visualization Group (dAI.SY) mit derzeit über 20 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern und vielen studentischen Mitarbeitenden unter Leitung von Prof. Patrick Mäder vielfältige Expertise in den Bereichen Informatik, Ingenieurwissenschaften und angrenzenden Wissenschaftsgebieten. Neben Maschine Learning und zuverlässiger Software hat sich in den vergangenen Jahren die Biodiversitätsinformatik zu einem Schwerpunktthema des Fachgebiets herauskristallisiert. Damit möchte das Forschungsteam zum Erhalt der Biodiversität beitragen. UNIonline hat mit Prof. Mäder über die Forschungen in diesem Bereich gesprochen.

Mit dem Forschungsschwerpunkt Biodiversitätsinformatik bewegen Sie sich an der Schnittstelle von Informatik, Biologie und Big Data und führen damit die Themen Digitalisierung und Nachhaltigkeit zusammen. Was hat sie motiviert, in diesem Bereich und speziell zum Thema Biodiversität zu forschen?

In den Jahren 2006 und 2012 habe ich an mehrwöchigen Expeditionen nach Sibirien teilgenommen unter der Leitung von Prof. Christian Wirth, dem Gründungsdirektor des Deutschen Zentrums für integrative Biodiversitätsforschung iDiv, und Prof. Ernst-Detlef Schulze, Gründungsdirektor des Max-Planck-Instituts für Biogeochemie. Gemeinsam führten wir unter abenteuerlichen Bedingungen ökologische Untersuchungen durch, die sehr einprägsam waren und mein Bewusstsein für Biodiversität verändert haben: Der Klimawandel ist eine große Bedrohung für die Menschheit, und der Verlust der biologischen Vielfalt geht damit Hand in Hand. Wir müssen aufhören, in Silos zu denken und die Kompetenzen verschiedener Wissenschaftsbereiche zusammenbringen, um diese komplexen Zusammenhänge zu untersuchen, sie zu verstehen und Grundlagen für Lösungen zu erarbeiten. Unser Flora-Incognita-Projekt schafft genau das.

Bis vor kurzem hatten Biologen keinen Zugang zu sehr großen Datenmengen, die sie analysieren konnten. Dies hat sich jedoch in den letzten Jahrzehnten geändert und ermöglicht es Forschern wie Ihnen, diese Daten zu nutzen, um ökologische Fragestellungen zu untersuchen. Mit was für Daten arbeiten Sie dabei? 

Wir arbeiten mit ganz verschiedenen Datentypen, vorrangig mit Fotos, aber auch mit Standortdaten, multispektralen Bilddaten, die mehr als die drei von Menschen wahrnehmbaren Farbkanäle und damit auch für das menschliche Auge nicht sichtbare Informationen erfassen, und Punktwolken, das heißt Ansammlungen von sehr vielen Messpunkten, dievon Laserscannern erzeugt wurden. Am bekanntesten sind wahrscheinlich die Beobachtungsdaten, die wir seit Jahren für die automatische Pflanzenbestimmung in der Flora-Incognita-App einsetzen: Millionen von Nutzerinnen und Nutzer weltweit sorgen jeden Tag dafür, dass wir Bildnachweise von Pflanzen mit deren Fundorten verknüpfen können, um damit die Verbreitung von Arten analysieren und vorhersagen zu können.

Ergänzt werden diese Informationen durch kuratierte Observationen von ausgewählten Expertinnen und Experten über die Flora-Capture-App. Aber unsere Forschungsgruppe beschränkt sich nicht nur auf Pflanzen. Für die Erkennung von Phytoplankton und Insekten verarbeiten wir mikroskopische Bilddaten. Hinzu kommen spezielle multispektrale Bilddaten für die automatische Identifizierung von Pollen. Und für die Bewertung von Waldbeständen nutzen wir Punktwolken, die mit LIDAR-Sensoren, einer dem Radar verwandten Methode zur optischen Abstands- und Geschwindigkeitsmessung, erfasst werden. Mit solchen Daten können wir dann beispielsweise Aussagen über die Wasserqualität treffen oder dazu beitragen, dass urbane Flächen bienenfreundlicher gestalten werden.

Im Rahmen der interdisziplinären Forschungsgruppe KI4Biodiv – Künstliche Intelligenz in der Biodiversitätsforschung möchten Sie gemeinsam mit dem Max-Planck-Institut für Biogeochemie diese KI-Methoden und -Technologien weiterentwickeln und verbessern, um die Biodiversität in verschiedenen Lebensräumen und Landschaften effizient, schnell und automatisiert überwachen zu können. Inwiefern stellt das Monitoring der biologischen Vielfalt eine besondere Herausforderung für Sie als Forschende dar?

Um die Herausforderungen zu verstehen, müssen wir uns zunächst ansehen, was das Monitoring der biologischen Vielfalt überhaupt bedeutet: Es ermöglicht, Veränderungen im räumlich-zeitlichen Auftreten von Arten wahrzunehmen und zu dokumentieren. Darunter fällt natürlich die Verbreitung von Arten: Wo geht die Vielfalt zurück, wo wird sie größer? Aber das Biodiversitätsmonitoring schließt auch anderes mit ein, wie zum Beispiel Phänologie: Wann blühen Pflanzen, wann tragen sie Früchte und wann wird das Herbstlaub bunt? Solche Monitoring-Daten weisen auf Veränderungen der Biodiversität hin, sie dienen der Erforschung von Ursachen dieser Veränderungen und zeigen auf, ob Strategien und Maßnahmen zum Schutz der Biodiversität wirken.

Natürlich bergen derartige Beobachtungen auch große Herausforderungen, vor allem in drei Bereichen: Sie sind teuer, brauchen viel Zeit und ein hervorragendes taxonomisches Wissen. Es bedarf also zahlreicher Methoden und Konzepte, um ein effektives Biodiversitätsmonitoring zu betreiben und die obengenannten Herausforderungen zu meistern – deswegen stehen automatisierte Erfassungs- und Auswertungsmethoden im Mittelpunkt der Forschung.

Wie wichtig ist dabei die interdisziplinäre Zusammenarbeit von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern unterschiedlicher Fachbereiche?

Es ist sehr spannend zu sehen, welche Quellen für Monitoring-Daten bereits jetzt verfügbar sind und wie diese in Zukunft gestalten werden. Um das ganze Potenzial zu heben, ist hier ein interdisziplinärer Forschungsansatz von großer Bedeutung: Biologinnen und Biologen erheben zum Beispiel meist eher kleinskalige Felddaten zu ausgewählten Arten, mit überschaubaren Datenmengen. Diese in-situ-Aufnahmen können wiederum die großen Datenmengen, die in der Fernerkundung über Luft-und Satellitendaten entstehen, kalibrieren und validieren. Die Informatik hält inzwischen ein großes Repertoire an Methoden des maschinellen Lernens und der künstlichen Intelligenz bereit, welche zur Aufnahme und Analyse solcher Datenmengen genutzt werden können. Die Anwendung und Weiterentwicklung von KI-Methoden kann und wird also zentrale Impulse für die Weiterentwicklung in der Umwelt- und Biodiversitätsforschung schaffen.

Welchen Nutzen erhoffen Sie sich von der Überwachung der Biodiversität für ihren Erhalt?

Alles, was wir erforschen, dient am Ende einem großen Ziel: Die globale Biodiversität zu erhalten. Die Überwachung steht dabei an erster Stelle, denn nur, wenn wir wissen, wie es um die Vielfalt steht – lokal, regional, im zeitlichen Kontext –, kann Ursachenforschung betrieben werden. Auf Basis dieser Ergebnisse können schließlich Maßnahmen entwickelt werden, die den Verlust von Biodiversität verhindern oder zumindest verringern können. Biodiversitätsmonitoring ist somit die Voraussetzung für politische Entscheidungen und dient schließlich auch wieder der Evaluation von Erfolgen solcher Maßnahmen.

 

Foto: TU Ilmenau/ari

Interview:  Technische Universität Ilmenau