Blog-Banner zur Publikation des User Experiments zur Erkennung von Pflanzenmerkmalen

Wie kann Pflanzenbestimmung mit Bestimmungsschlüsseln erleichtert werden?

Unsere neue Publikation „Towards more effective identification keys – a study of people identifying plant species characters“  untersucht systematisch, wie gut Menschen mit unterschiedlichem botanischem Hintergrund morphologische Pflanzenmerkmale wahrnehmen, verstehen und zuordnen können. Am Ende schlägt unsere Publikation eine Reihe von Gestaltungsprinzipien für intuitive und benutzerfreundliche Bestimmungsschlüssel vor.

Kontext

Die korrekte und schnelle Bestimmung von Pflanzenarten spielt eine wichtige Rolle beim Schutz der biologischen Vielfalt, denn der Mensch kann nur schützen, was er kennt. Die automatisierte Artbestimmung über Apps wie Flora Incognita kann dazu beitragen, die Wissenslücke zu schließen, aber die gängigste Methode zur Bestimmung von Pflanzenarten ist immer noch die Arbeit mit Bestimmungsschlüsseln in gedruckten Büchern. Für Laien sind diese Schlüssel oft schwer verständlich, da viele Fachbegriffe verwendet werden und es an leicht verständlichen Abbildungen fehlt.

Allerdings sind es nicht selten ebendiese Laien, die an der Erfassung der biologischen Vielfalt beteiligt sind – manche Initiativen sind sogar auf sie angewiesen. Häufig sind detaillierte Informationen über Arten, phänologische Merkmale oder andere Merkmale erforderlich, um die anfallenden Aufgaben zu erfüllen. Um die Zahl der Citizen Scientists, die sich an Monitoring-Projekten beteiligen, zu halten und zu erhöhen, wären neue Ansätze zur Unterstützung von Anfängern hilfreich – vor allem, wenn es darum geht, schnell und zuverlässig Kompetenzen zur Bestimmung von Arten anhand von Pflanzenmerkmalen aufzubauen.

Warum ist die richtige Beurteilung von Pflanzenmerkmalen so wichtig?

In diesem Beispiel sehen Sie Bilder des Europäischen Kreuzdorns (Rhamnus cathartica) und des Gemeinen Hartriegels (Cornus sanguinea). Auf den ersten Blick sehen beide Arten sehr ähnlich aus, so dass die exakte Wahrnehmung und Beschreibung der Blattränder ein entscheidender Faktor für die Artbestimmung ist:

 

Bild eines Blattes von Rhamnus cathartica - Purgier-Kreuzdorn

Rhamnus cathartica – Purgier-Kreuzdorn

Bild eines Blattes von Cornus sanguinea - Roter Hartriegel

Cornus sanguinea – Roter Hartriegel

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Rhamnus cathartica mit seiner graubraunen Rinde und den oft dornigen Ästen hat elliptische bis ovale Blätter mit gezähnten Rändern. Cornus sanguinea hingegen hat dunkelgrün-braune Äste mit elliptischen bis ovalen Blättern, die einen ganzen Rand haben. Der entscheidende Faktor ist in diesem Fall ein Adjektiv, das man kennen, verstehen und wahrnehmen muss, um die betreffende Pflanze zu bestimmen.

Die Studie

Wir haben eine Online-Umfrage mit 484 Personen durchgeführt. Nachdem das Vorwissen der Personen über Pflanzen und Arten ermittelt worden war, erhielten sie die Aufgabe, morphologische Pflanzenmerkmale aus einer Reihe von Pflanzenbildern zu identifizieren, die durch Piktogramme unterstützt wurden, wie unten dargestellt. Insgesamt wurden 25 verschiedene Pflanzenmerkmale auf 6 Bildern aus unterschiedlichen Perspektiven dargestellt.

 

Überblick über den Studienaufbau

Ergebnisse

Im Durchschnitt erkannten die Teilnehmer*innen 79 % der Merkmale richtig, auch diejenigen, die keine umfassenden Artenkenntnisse hatten. Diejenigen, die sich selbst als mittelmäßige oder erfahrene Pflanzenexperten bezeichneten, benötigten weniger Bilder der jeweiligen Pflanze, um eine eindeutige Antwort zu geben, und fühlten sich insgesamt sicherer in ihrer Antwort. Im Durchschnitt wurden blütenbezogene Merkmale deutlich häufiger und schneller identifiziert als blattbezogene Merkmale. Außerdem wurden für blütenbezogene Merkmale weniger Bilder benötigt, um eine eindeutige Antwort zu finden.

Fazit

Es scheint, dass mit sorgfältig ausgearbeiteten Pflanzenmerkmalen, die durch eine Kombination aus Symbolen und erklärendem Text veranschaulicht werden, selbst komplexe Strukturen auch von Laien verstanden und richtig angesprochen werden können. Damit zeigen wir, dass bei der zukünftigen Gestaltung von klassischen Bestimmungsschlüsseln nicht nur die botanischen Begriffe im Vordergrund stehen sollten, sondern auch die Nutzer*innen und deren aktuelle Kenntnisse. Die Verbesserung der Artenkenntnis und das Erlernen von Pflanzenbestimmungsmethoden über Apps oder gedruckte Anleitungen kann durch intuitive Icons, Beschreibungen und Fragen unterstützt werden, die den Nutzer durch den Bestimmungsprozess führen.

Publikation:

Wäldchen, J., Wittich, H. C., Rzanny, M., Fritz, A., & Mäder, P. (2022). Towards more effective identification keys: A study of people identifying plant species characters. People and Nature. https://doi.org/10.1002/pan3.10405

Los geht’s! Sammelt Flora-Incognita-Abzeichen für vielfältige Pflanzenfunde!

Seit 2018 sammeln und bestimmen Naturliebhaber*innen mit unserer Flora-Incognita-App wildwachsende Blütenpflanzen, und mit den dazugehörigen Pflanzensteckbriefen verbessert sich ihre Artenkenntnis stetig. Aber, wie Ihr vielleicht wisst, ist Flora Incognita mehr als das: Jede bestätigte Beobachtung (über das grüne Häkchen in der oberen rechten Ecke nach einer Bestimmung) trägt zu einer riesigen, globalen Sammlung von Pflanzenfunden bei, mit denen unsere Wissenschaftler*innen Veränderungen der biologischen Vielfalt erforschen.

Mit unserer gerade veröffentlichten App-Version wollen wir das Ganze auf ein neues Niveau heben: Wir führen die Flora-Incognita-Abzeichen ein! Jedes Abzeichen belohnt den Benutzer oder die Benutzerin für das Erfüllen bestimmter Aufgaben: Das Sammeln von Frühblühern, Gräsern, dem Baum des Jahres, Farne oder einfach nur die Nutzung der App an mehreren aufeinanderfolgenden Tagen. Freue Dich auf viele Herausforderungen, die du lösen kannst – vielleicht hast du sogar schon erste Ziele erreicht?

Deine gesammelten Abzeichen findest du im Profilbereich der App. Tippe auf „Erfolge“, um zu einer Übersicht über alle Aufgaben zu gelangen, die wir für dich vorbereitet haben. Wir hoffen, dass Dich diese neue Funktion dazu motiviert, über das Gewohnte hinauszuschauen, den kleinen Umweg zu gehen, und Pflanzen noch genauer zu untersuchen. Wir freuen uns auf Dein Feedback! Eine Bewertung im App Store, ein Teilen auf Twitter, Facebook oder Instagram oder auch eine Empfehlung an einen Freund oder eine Freundin sind Möglichkeiten, die heutigen Neuigkeiten zu verbreiten. Wir wissen das sehr zu schätzen!

Wenn Dir in der neuen App-Version etwas seltsam vorkommt oder unerwartet funktioniert, schick uns eine E-Mail. Und jetzt ist es an der Zeit, in der App nachzusehen, ob Du Dir bereits einige Abzeichen verdient hast!

„Die Weiterentwicklung von KI-Methoden wird zentrale Impulse für die Umwelt- und Biodiversitätsforschung schaffen“

Interview mit Prof. Patrick Mäder über das Zusammenspiel von Informatik, Biologie und Big Data

Als junge Forschergruppe an der TU Ilmenau vereint das Fachgebiet Data-intensive Systems and Visualization Group (dAI.SY) mit derzeit über 20 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern und vielen studentischen Mitarbeitenden unter Leitung von Prof. Patrick Mäder vielfältige Expertise in den Bereichen Informatik, Ingenieurwissenschaften und angrenzenden Wissenschaftsgebieten. Neben Maschine Learning und zuverlässiger Software hat sich in den vergangenen Jahren die Biodiversitätsinformatik zu einem Schwerpunktthema des Fachgebiets herauskristallisiert. Damit möchte das Forschungsteam zum Erhalt der Biodiversität beitragen. UNIonline hat mit Prof. Mäder über die Forschungen in diesem Bereich gesprochen.

Mit dem Forschungsschwerpunkt Biodiversitätsinformatik bewegen Sie sich an der Schnittstelle von Informatik, Biologie und Big Data und führen damit die Themen Digitalisierung und Nachhaltigkeit zusammen. Was hat sie motiviert, in diesem Bereich und speziell zum Thema Biodiversität zu forschen?

In den Jahren 2006 und 2012 habe ich an mehrwöchigen Expeditionen nach Sibirien teilgenommen unter der Leitung von Prof. Christian Wirth, dem Gründungsdirektor des Deutschen Zentrums für integrative Biodiversitätsforschung iDiv, und Prof. Ernst-Detlef Schulze, Gründungsdirektor des Max-Planck-Instituts für Biogeochemie. Gemeinsam führten wir unter abenteuerlichen Bedingungen ökologische Untersuchungen durch, die sehr einprägsam waren und mein Bewusstsein für Biodiversität verändert haben: Der Klimawandel ist eine große Bedrohung für die Menschheit, und der Verlust der biologischen Vielfalt geht damit Hand in Hand. Wir müssen aufhören, in Silos zu denken und die Kompetenzen verschiedener Wissenschaftsbereiche zusammenbringen, um diese komplexen Zusammenhänge zu untersuchen, sie zu verstehen und Grundlagen für Lösungen zu erarbeiten. Unser Flora-Incognita-Projekt schafft genau das.

Bis vor kurzem hatten Biologen keinen Zugang zu sehr großen Datenmengen, die sie analysieren konnten. Dies hat sich jedoch in den letzten Jahrzehnten geändert und ermöglicht es Forschern wie Ihnen, diese Daten zu nutzen, um ökologische Fragestellungen zu untersuchen. Mit was für Daten arbeiten Sie dabei? 

Wir arbeiten mit ganz verschiedenen Datentypen, vorrangig mit Fotos, aber auch mit Standortdaten, multispektralen Bilddaten, die mehr als die drei von Menschen wahrnehmbaren Farbkanäle und damit auch für das menschliche Auge nicht sichtbare Informationen erfassen, und Punktwolken, das heißt Ansammlungen von sehr vielen Messpunkten, dievon Laserscannern erzeugt wurden. Am bekanntesten sind wahrscheinlich die Beobachtungsdaten, die wir seit Jahren für die automatische Pflanzenbestimmung in der Flora-Incognita-App einsetzen: Millionen von Nutzerinnen und Nutzer weltweit sorgen jeden Tag dafür, dass wir Bildnachweise von Pflanzen mit deren Fundorten verknüpfen können, um damit die Verbreitung von Arten analysieren und vorhersagen zu können.

Ergänzt werden diese Informationen durch kuratierte Observationen von ausgewählten Expertinnen und Experten über die Flora-Capture-App. Aber unsere Forschungsgruppe beschränkt sich nicht nur auf Pflanzen. Für die Erkennung von Phytoplankton und Insekten verarbeiten wir mikroskopische Bilddaten. Hinzu kommen spezielle multispektrale Bilddaten für die automatische Identifizierung von Pollen. Und für die Bewertung von Waldbeständen nutzen wir Punktwolken, die mit LIDAR-Sensoren, einer dem Radar verwandten Methode zur optischen Abstands- und Geschwindigkeitsmessung, erfasst werden. Mit solchen Daten können wir dann beispielsweise Aussagen über die Wasserqualität treffen oder dazu beitragen, dass urbane Flächen bienenfreundlicher gestalten werden.

Im Rahmen der interdisziplinären Forschungsgruppe KI4Biodiv – Künstliche Intelligenz in der Biodiversitätsforschung möchten Sie gemeinsam mit dem Max-Planck-Institut für Biogeochemie diese KI-Methoden und -Technologien weiterentwickeln und verbessern, um die Biodiversität in verschiedenen Lebensräumen und Landschaften effizient, schnell und automatisiert überwachen zu können. Inwiefern stellt das Monitoring der biologischen Vielfalt eine besondere Herausforderung für Sie als Forschende dar?

Um die Herausforderungen zu verstehen, müssen wir uns zunächst ansehen, was das Monitoring der biologischen Vielfalt überhaupt bedeutet: Es ermöglicht, Veränderungen im räumlich-zeitlichen Auftreten von Arten wahrzunehmen und zu dokumentieren. Darunter fällt natürlich die Verbreitung von Arten: Wo geht die Vielfalt zurück, wo wird sie größer? Aber das Biodiversitätsmonitoring schließt auch anderes mit ein, wie zum Beispiel Phänologie: Wann blühen Pflanzen, wann tragen sie Früchte und wann wird das Herbstlaub bunt? Solche Monitoring-Daten weisen auf Veränderungen der Biodiversität hin, sie dienen der Erforschung von Ursachen dieser Veränderungen und zeigen auf, ob Strategien und Maßnahmen zum Schutz der Biodiversität wirken.

Natürlich bergen derartige Beobachtungen auch große Herausforderungen, vor allem in drei Bereichen: Sie sind teuer, brauchen viel Zeit und ein hervorragendes taxonomisches Wissen. Es bedarf also zahlreicher Methoden und Konzepte, um ein effektives Biodiversitätsmonitoring zu betreiben und die obengenannten Herausforderungen zu meistern – deswegen stehen automatisierte Erfassungs- und Auswertungsmethoden im Mittelpunkt der Forschung.

Wie wichtig ist dabei die interdisziplinäre Zusammenarbeit von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern unterschiedlicher Fachbereiche?

Es ist sehr spannend zu sehen, welche Quellen für Monitoring-Daten bereits jetzt verfügbar sind und wie diese in Zukunft gestalten werden. Um das ganze Potenzial zu heben, ist hier ein interdisziplinärer Forschungsansatz von großer Bedeutung: Biologinnen und Biologen erheben zum Beispiel meist eher kleinskalige Felddaten zu ausgewählten Arten, mit überschaubaren Datenmengen. Diese in-situ-Aufnahmen können wiederum die großen Datenmengen, die in der Fernerkundung über Luft-und Satellitendaten entstehen, kalibrieren und validieren. Die Informatik hält inzwischen ein großes Repertoire an Methoden des maschinellen Lernens und der künstlichen Intelligenz bereit, welche zur Aufnahme und Analyse solcher Datenmengen genutzt werden können. Die Anwendung und Weiterentwicklung von KI-Methoden kann und wird also zentrale Impulse für die Weiterentwicklung in der Umwelt- und Biodiversitätsforschung schaffen.

Welchen Nutzen erhoffen Sie sich von der Überwachung der Biodiversität für ihren Erhalt?

Alles, was wir erforschen, dient am Ende einem großen Ziel: Die globale Biodiversität zu erhalten. Die Überwachung steht dabei an erster Stelle, denn nur, wenn wir wissen, wie es um die Vielfalt steht – lokal, regional, im zeitlichen Kontext –, kann Ursachenforschung betrieben werden. Auf Basis dieser Ergebnisse können schließlich Maßnahmen entwickelt werden, die den Verlust von Biodiversität verhindern oder zumindest verringern können. Biodiversitätsmonitoring ist somit die Voraussetzung für politische Entscheidungen und dient schließlich auch wieder der Evaluation von Erfolgen solcher Maßnahmen.

 

Foto: TU Ilmenau/ari

Interview:  Technische Universität Ilmenau

 

 

Neues Flora Incognita Update

Unser neues Relase bringt euch ein modernes und vereinfachtes Nutzererlebnis, und eine ganze Reihe neuer Funktionen, mit denen ihr noch mehr Freude an euren Pflanzenfunden haben könnt:

Pflanzen bestimmen:

  • Die neue Benutzeroberfläche ist moderner und übersichtlicher.
  • Es ist jetzt einfacher, eine Pflanze in der Natur aufzunehmen und zu bestimmen.
  • Ihr könnt mit einer neuen Kamerafunktion den Autofokus deaktivieren, um viel einfacher kleine Objekte scharf zu fotografieren.

Pflanzenfunde sammeln:

  • Ihr könnt nachträglich Bilder zu einer Beobachtung hinzufügen.
  • Ihr könnt mit eigenen Schlagworten eure Pflanzenfunde leichter sortieren und filtern.
  • Ihr könnt eure Pflanzenfunde jetzt auf einer Karte ansehen und filtern.
  • Ihr könnt durch zahlreiche Filter die allgemeine Artenliste leichter ansehen.

Verfügbarkeit:

  • Auch ohne ein persönliches Profil könnt Ihr eure Daten auf ein neues Gerät übertragen.
  • Ihr könnt Flora-Incognita-Bilder in eurer Galerie speichern.

Steckbriefe:

  • Wir haben umfangreiche Informationen zu invasiven Arten in Mitteleuropa ergänzt.

Unsere Flora Incognita App geht mit MS Wissenschaft auf Tour

Das Ausstellungsschiff MS Wissenschaft startete am 03.05.2022 auf Deutschlandtour, auch mit Flora Incognita an Bord. Die Flora Incognita App ist eines von 25 ausgewählten Exponaten, die Menschen jeden Alters in dem schwimmenden Science Center zum Entdecken, Ausprobieren und Mitmachen einladen. Nicht nur junge Menschen ab etwa zwölf Jahren können hinter die Forschungskulissen schauen und werden so neugierig auf Wissenschaft und Forschung gemacht. Auf ihrer viereinhalbmonatigen Fahrt bis zum 16. September legt die MS Wissenschaft, eine Initiative des Bundesministeriums für Bildung und Forschung, in 31 Städten an, unter anderem an Spree, Rhein, Neckar, Mosel und Saar.

Flora Incognita, die App zur automatischen Pflanzenbestimmung, ist mit mehr als fünf Millionen Installationen überaus erfolgreich. Aber welche Technik steckt dahinter? Welche Methoden haben die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler bei der Entwicklung der App angewendet? Was motivierte sie, die App zu entwickeln? Und welchen Beitrag können Privatpersonen zur Überwachung der Biodiversität und damit zum Schutz der Natur leisten? Antworten auf diese Fragen erhalten die Besucherinnen und Besucher an Bord der MS Wissenschaft – und dabei ist Anfassen ausdrücklich erlaubt. Im Bauch des umgebauten Frachtschiffs wird die Flora Incognita auf einem Touchscreen simuliert. So können Naturbegeisterte auf einer virtuellen Wiese verschiedene Pflanzenarten auswählen. Sie erfahren dabei, wie die Pflanzen heißen und welche Bedeutung sie für den Naturschutz und für die Wissenschaft haben. Anhand von Karten und Videos wird gezeigt, wie die Flora Incognita einen wichtigen Beitrag zur Dokumentation der Pflanzenvielfalt leistet.

Auf der MS Wissenschaft ist die Flora Incognita in der Regel täglich von 10 bis 19 Uhr zu erleben, Schulklassen sind schon ab 9 Uhr willkommen. Zusätzlich zur Ausstellung gibt es in vielen Städten entlang der Route ein Rahmenprogramm mit Diskussionsveranstaltungen, wissenschaftlichen Filmabenden und Workshops für Schulklassen. Der Eintritt zur Ausstellung ist frei.

 

Link: MS Wissenschaft

Bildquelle: Ilja C. Hendel/Wissenschaft im Dialog, CC BY-SA 4.0

Zier- und Kulturpflanzen: Die Grenzen der Bestimmbarkeit

In der Beschreibung von Flora Incognita weisen wir an mehreren Stellen darauf hin, dass die App „nur“ Wildpflanzen bestimmen kann. Warum beschränken wir uns eigentlich darauf? Weltweit geht man von etwa 300.000 „natürlichen“ Blütenpflanzenarten aus. Bedenkt man, dass aus fast jeder wilden Art eine Vielzahl von Variationen gezüchtet werden kann, gibt das einen ersten Eindruck, warum das Beschränken sinnvoll ist.

Was sind Wildpflanzen?

Sich darauf festzulegen, wie viele Arten allein in Deutschland „wild“ vorkommen ist nicht so einfach. Selbst Experten und Expertinnen der Taxonomie sind sich nicht immer einig, welche Art denn nun wirklich Artstatus besitzt und welche lediglich Unterarten einer Art sind.

In der Standardliste der Farn- und Blütenpflanzen Deutschlands (Wisskirchen & Haeupler, 1998) werden über 4000 Arten (ohne Algen und pflanzliche Einzeller)  angegeben.

Einige Gattungen (z.B. Brombeeren oder Habichtskräuter) bilden regelrechte Artenschwärme, welche eine große Anzahl von ineinander übergehenden Kleinarten umfassen.  Wohlweißlich bestimmen wir diese Gattungen mit Flora Incognita aktuell nicht genauer als bis zur Gattung.

Zudem gibt es bei einer Reihe von Arten sogenannte Hybride, welche Übergangsformen zwischen zwei Arten bilden. Bekannt sind hier vor allem die Orchideen. Hybride können letztlich häufiger sein als die Elternarten selbst. Auch diese vielfältigen Hybriden berücksichtigen wir vorerst nicht.

Zu Unterarten, Hybriden und Artenschwärmen heimischer Arten kommen jedoch auch Zuwanderer aus anderen Regionen dieser Erde. Sie breiten sich entlang von Eisenbahnlinien aus, sind an Wasser- und Flughäfen zu finden – oder entstammen Versandhauskatalogen und verbreiten sich fleißig aus Gartenanlagen. Manche dieser Arten können hier gut gedeihen. Sie können sogar sehr häufig werden.

Seit 1492 dürften mehrere zehntausend gebietsfremde Zier- und Nutzpflanzen nach Deutschland beabsichtigt eingeführt worden sein. Von diesen konnten sich bisher ca. 220 Arten fest etablieren und weitere 1600 Arten kommen unbeständig vor.

Ein weiterer Aspekt kommt zur Anzahl heimischer Wildpflanzen hinzu: In Deutschland sterben auch Arten aus. Bislang sind bereits 47 Pflanzenarten ausgestorben (außerdem sind 291 gefährdet, 118 stark gefährdet und 89 extrem selten).

Wie viele Arten gibt es also in Deutschland?  Aufgrund all dieser Schwierigkeiten beziehen wir uns auf die oben genannte Standardliste der Pflanzen Deutschlands. ALLE Arten auf dieser Liste soll Flora Incognita sicher bestimmen können.

Was sind Zierpflanzen?

Zier- und Kulturpflanzen sind Pflanzen, die von Menschen angebaut, kultiviert und züchterisch bearbeitet werden.

Wir wissen, dass viele Nutzer Flora Incognita voller Enthusiasmus zunächst an dem ausprobieren, was sie als erstes die Linse bekommen: ihre Zimmerpflanzen.

Aus diesem Grund haben wir auch ein paar der häufigsten Zierpflanzen mit in unserer Liste erfasst. Allerdings ist „die häufigsten“ nicht das, was wir mit dem Flora Incognita Projekt anstreben. Wir streben nach Vollständigkeit.

Wenden wir dieses Ziel auf Zier- und Kulturpflanzen an, gibt es ein großes Problem: Prinzipiell kann ein Großteil der weltweit vorkommenden Pflanzen unter geeigneten Bedingungen als Zierpflanze kultiviert werden. Der Standortfaktor als Teil der Bestimmungsgenauigkeit fiele dann weg.

Durch Züchtung werden zudem ursprünglich einheitlich aussehende Arten sehr stark verändert. Allein die Anzahl verschiedener Rosensorten  geht in die Tausende – jede sieht anders aus und muss von den zahlreichen Wildarten (und -hybriden) abgegrenzt werden. Beispiele für kultivierte Nutzpflanzen sind z.B. Brokoli und Kohlrabi – beide gehören zur Art Brassica oleracea. Durch züchterische Auslese kann also innerhalb einer Art eine enorme visuelle Vielfalt erzeugt werden (siehe Abbildung)!

 

 

 

Wir erinnern uns: Die  über hundert Arten der Gattung Brombeere sind für ungeübte Augen fast nicht unterscheidbar.

Das biologische Artkonzept ist bei Züchtungen und vielfachen künstlichen Hybridisierungen wenig hilfreich und wird die Erwartungen der Nutzer in vielen Fällen vermutlich auch enttäuschen. Ein Beispiel:

In der letzten Saison erreichten uns zahlreiche empörte Anfragen, dass der auffällige „Rotdorn“, so oft er auch fotografiert wurde, immer wieder als Weißdorn erkannt wurde. Dass Rotdorn lediglich eine Züchtungsform des Weißdorns (Crataegus laevigata) darstellt, und gar keine eigene Art ist, bedarf während seiner Blühzeit einiges an Überzeugungsarbeit auf jedem Kommunikationskanal.

 

Wir können mit Sicherheit sagen: Flora Incognita kennt ALLE in Deutschland wild vorkommenden Arten (mit Ausnahme einiger schwieriger Artkomplexe, die wir aktuell wissentlich nicht bis auf die Art bestimmen). Um sagen zu können, dass Flora Incognita auch die Pflanzen in allen Botanische Gärten, Tropenhäusern, alle Kakteensammlungen, Dahliensorten und Rosenzüchtungen in Deutschlands bestimmen kann, müssten wir die gesamte Flora der Welt trainieren. Alle etwa 300.000 Arten, davon viele mit ungeklärter oder widersprüchlicher Taxonomie. Hinzu kommt eine unbekannte Zahl an Züchtungen. Wie viele Zuchtsorten es gibt können wir nur schätzen – sicherlich noch einmal so viele – und jedes Jahr kommen neue hinzu.

Wie kann ich als Laie Wild- von Zierpflanzen unterscheiden?

Das ist in der Tat oftmals nicht ganz einfach, aber ein paar Anhaltspunkte, Zierpflanzen zu erkennen, gibt es doch:

  • Die Pflanze wächst in einem Blumentopf.
  • Die Pflanze wurde angepflanzt, z.B. in einer Rabatte.
  • Die Pflanze steht in einem Garten.
  • Die Pflanzen wächst im Haus
  • Die Pflanze ist Teil eines künstlich angesäten Ackerrandstreifens.

Natürlich können Sie unsere App auch gern an diesen Pflanzen ausprobieren.

Die Ergebnisse sollten Sie allerdings mit Vorsicht betrachten. Auch unser Algorithmus kann nur erkennen, was er schon einmal (oder 3 Millionen Mal) gesehen hat.

Fazit

Flora incognita kann auch viele Zier- und Kulturpflanzen erkennen.

Aber bei weitem noch nicht alle. Denn an diesem Punkt müssten alle Pflanzen dieser Welt bestimmbar sein. Aber wir werden mit kommenden Updates den Arten-Pool weiter vergrößern und häufige Zier- und Kulturpflanzen mit berücksichtigen. Aktuell trainieren wir mit 1.7 Mio. hoch vertrauenswürdigen Bildern von knapp 5000 Arten. Wollten wir die gleiche Qualität auch für ALLE Zierpflanzen erreichen, bräuchten wir ca. 1 Milliarde wenigstens einigermaßen balancierter Trainingsbilder, sowie die Expertise, alle 300.000 potenziell in Frage kommenden Arten auf diesen Bildern korrekt bestimmt zu haben.

P.S.: Übrigens, gekaufte Küchenkräuter sind meist keine Wildpflanzen. (Nein, auch Rosmarin nicht.)

Deep Learning in der phänologischen Pflanzenforschung: Eine systematische Literaturübersicht

Negin Katal hat gemeinsam mit ihrem Team einen Übersichtsartikel über aktuelle Forschungsansätze welche tiefe Lernverfahren (Deep Learning) in der Pflanzenphänologieforschung verwenden verfasst. Die Veröffentlichung gibt einen Überblick über die wichtigsten Ergebnisse aus 24 ausgewählten, von Experten begutachteten Studien, die in den letzten fünf Jahren (2016-2021) veröffentlicht wurden.

Die Phänologie von Pflanzen befasst sich mit der Veränderung des im Jahreverlauf periodisch wiederkehrenden Entwicklungsstufen von Pflanzen (z.B.: Blüte, Blattaustrieb, Blattfall, etc.). Forschungsarbeiten zur Phänologie haben zunehmend an Bedeutung gewonnen, da Klima-schwankungen und -veränderungen Einfluss auf die Phänologie von Pflanzen nehmen. Eine der größten Herausforderungen dabei ist die Entwicklung von Werkzeugen zur effizienten Analyse großer Datenmengen. Tiefe neuronale Netze können bei der Bildverarbeitung massiv unterstützen, dabei helfen Muster zu erkennen und machen es überhaupt erst möglich große Mengen an Bildmaterial effizient auszuwerten.

„[…]Deep Learning soll vor allem die bisher sehr zeit- und kostenintensiven, direkten phänologischen Messungen und Beobachtungen vereinfachen.“

Unser Artikel beschreibt die verwendeteten Methoden, die nach den untersuchten phänologischen Stadien, dem Vegetationstyp, dem räumlichen Maßstab und der Datenerfassung kategorisiert sind.

Einzelbeobachtungen sind beispielsweise menschliche Beobachtungen von Pflanzen, unter dem Kronendach installierte Kameras oder auch Herbarmaterial welches über Jahrhunderte und rund um den Globus gesammelt wurde.

Oberflächennahe Messungen beispielsweise mit PhenoCams, oberflächennahen Digitalkameras, die knapp über dem Kronendach angebracht sind oder mit Drohnen durchgeführt. Über Satelliten-Fernerkundung werden beispielsweiseIndices wie der Spektrale Vegetationsindex (VI) oder der erweiterten Vegetationsindex (EVI) bestimmt.

Außerdem werden Forschungstrends aufgezeigt und diskutiert sowie  vielversprechende zukünftige Richtungen aufgezeigt.

Die wichtigsten Ergebnisse

Die untersuchten Studien wurden in elf verschiedenen Ländern und in verschiedenen Vegetationstypen (Grasland, Wald, Buschland, landwirtschaftliche Flächen) durchgeführt. Die überwiegende Mehrheit der Primärstudien untersucht phänologische Stadien an einzelnen Individuen. Zehn Studien untersuchten die Phänologie auf regionaler Ebene. Keine einzige Studie arbeitet auf globaler Ebene. Tiefe Lernverfahren sollen in erster Linie die bisher sehr zeit- und kostenintensiven direkten phänologischen Messungen vereinfachen.

Im Allgemeinen sind die wichtigsten phänologischen Stadien das Aufbrechen der Blattknospen, Austrieb der Blätter, Blühbeginn, Erscheinen der Früchte, Seneszenz (Laubfärbung) und das Abwerfen der Blätter. Unter den untersuchten Studien beschäftigte sich mehr als die Hälfte entweder mit den Blattaustrieb oder mit dem Blühbeginn.

Dabei wurden unterschiedliche Methoden verwendet, um Trainingsmaterial für die Lernalgorhitmen zu gewinnen. Zwölf Studien verwendeten Bilder aus digitalen Wiederholungsaufnahmen und analysierten diese. Die Publikation enthält ausführliche Informationen über verschiedenen Arten von digitaler Fotografie, die sich besonders für die Bereitstellung dieser Trainingsdaten eignen.

Darüber hinaus in unserem Paper die Deep-Learning-Methoden, welche beim phänologischen Monitoring eingesetzt werden, kategorisiert, verglichen und diskutiert. Wir haben  festgestellt, dass Klassifizierungs- und Segmentierungsmethoden sich als sehr vorteilhaft erwiesen haben und am häufigsten angewendet werden, insbesondere weil sie mühsame und fehleranfällige manuelle Aufgaben ersetzen oder unterstützen können.

Es gibt unterschiedliche Methoden die Phänologie der Pflanzen zu beobachten.

Zukünftige Trends in der phänologischen Forschung durch den Einsatz von Deep Learning

Methoden des maschinellen Lernens benötigen große Datenmengen, um trainiert zu werden. Daher ist die Erhöhung der absoluten Zahl an gesammelten Daten eine der größten Herausforderungen – insbesondere in Regionen oder Ländern, in denen es bisher keine traditionellen phänologischen Beobachtungsnetze gibt. In dem Papier werden Methoden und Instrumente beschrieben, die sich als wichtige Hebel zur Unterstützung dieser Art von Forschung erweisen werden, zum Beispiel:

Die Installation von Kameras unter dem Kronendach, die automatisch Bilder aufnehmen und über lange Zeiträume hinweg übermitteln.

PhenoCams erweisen sich als neuer und vielversprechender Weg, um die Forschung voranzutreiben: Über indirekte Methoden, welche die Veränderungen in Bildern nachverfolgen, indem sie beispielsweise Veränderung der grünen oder roten Farbkoordinaten aus PhenoCam-Bildern bestimmen und dann dann mittels Algorithmen den Zeitpunkt phänologischer Ereignisse abzuleiten. Wir erwarten, dass in Zukunft viele weitere Studien erscheinen werden, die PhenoCam-Bilder über die bisher berechneten Vegetationsfarbindizes hinaus auswerten.

Citizen Science-Daten aus Pflanzenbestimmungs-Apps wie Flora Incognita erweisen sich als langfristige Quelle für Vegetationsdaten. Diese Bilder sind mit einem Zeitstempel und Standortinformationen versehen und können daher ähnlich wie Herbarmaterial wichtige Informationen, z. B. über Blütezeiten, liefern.

Es wird deutlich, dass Deep-Learning-Methoden in der Phänologieforschung erfolgreich angewendet und genutzt können und die traditionelle Erfassung und Auswertung von Daten verbessern und beschleunige können. Wir, als Forschungsteam, freuen uns darüber, ein Teil davon zu sein und laden Sie herzlich dazu ein, selbst eine wichtige Rolle zu spielen – indem Sie Flora Incognita nutzen, um die Vielfalt und den Wandel der Biodiversität um Sie herum zu beobachten und zu dokumentieren.

Wenn Sie Fragen zu unserer Forschung haben, zögern Sie nicht, uns zu kontaktieren! Sie finden Negin Katal zum Beispiel auf Researchgate und Twitter (@katalnegin).

Publikation

Katal, N., Rzanny, M., Mäder, P., & Wäldchen, J. (2022). Deep learning in plant phenological research: A systematic literature review. Frontiers in Plant Science, 13. https://doi.org/10.3389/fpls.2022.805738

Lassen sich Süßgräser über Smartphone-Bilder automatisch bestimmen?

Quecke oder Weidelgras? Gräser gelten als schwer zu bestimmende Arten. Die Quecke (Agropyron repens) wird in Gärten gefürchtet und bekämpft. Das Weidelgras (Lolium perenne) hingegen ist Grundlage vieler Rasenmischungen und ein wertvolles Futtergras. Nur welches ist welches?

In unserer gerade erschienenen Publikation haben wir untersucht ob sich Gräser trotz ihrer großen Ähnlichkeit automatisch erkennen und unterscheiden lassen. Dabei wollten wir wissen welche Perspektiven sich eignen und ob das sogar ohne Blüte möglich ist. Wir haben 31 Arten untersucht und dabei Aufnahmen des Blütenstandes, der Blätter und des Blatthäutchens verwendet. Dabei zeigte sich, dass eine Kombination verschiedener Perspektiven das Ergebnis verbessert. Der Blütenstand lieferte dabei die meiste Information. Sind keine Blüten vorhanden so sind Bilder des Blatthäutchens aus Richtung des Blattes am besten geeignet um die Grasarten zu unterschieden. Alle Bilder wurden mit verschiedenen Smartphones angefertigt.

 

Was lernen wir daraus für Flora Incognita? Auch schwierigere Gruppen lassen sich gut automatisch bestimmen, vorausgesetzt man fotografiert die richtigen Pflanzenteile. Diese neu gewonnenen Erkenntnisse werden in die Weiterentwicklung unserer App einfließen. In unserem Experiment erreichten wir für die 31 Arten eine Genauigkeit von > 96%.  Dabei haben wir auch viele Trainingsbilder gewonnen, die der Verlässlichkeit der Flora Incognita App bei Gräsern zukünftig deutlich verbessern werden.

 

 

 

Publikation

Rzanny M, Wittich HC, Mäder P, Deggelmann A, Boho D & Wäldchen J (2022) Image-Based Automated Recognition of 31 Poaceae Species: The Most Relevant Perspectives. Front. Plant Sci. 12:804140. https://doi.org/10.3389/fpls.2021.804140