Biodiversität – Die Serie
Neben der Artenvielfalt und der genetischen Vielfalt ist die Lebensraumvielfalt eine der drei bedeutendsten Säulen der Biodiversität. In der letzten Flora Story haben wir uns intensiver mit der genetischen Vielfalt innerhalb einer Art beschäftigt. In der heutigen Story gehen wir genauer auf den Aspekt der Vielfalt von Lebensräumen in einer Region ein.
Was bedeutet Lebensraumvielfalt?
Die Lebensraumvielfalt ist ein Maß dafür, wie viele verschiedene Lebensräume auf einer bestimmten Fläche vorhanden sind. Ein Gebiet, in dem beispielsweise ein natürlich fließender Bach einen Waldrand von einer Wiese trennt, kann eine hohe Strukturvielfalt aufweisen. Eine große Ackerfläche ohne Hecken oder Blühstreifen weist dagegen keine hohe Vielfalt an Lebensräumen auf. Eine hohe Lebensraumvielfalt erhöht automatisch auch die Artenvielfalt des Gebietes, da in jedem dieser Biotope eine eigene Lebensgemeinschaft vorkommt und somit eine einzelne Fläche von mehr Arten besiedelt werden kann.
Verlust von Lebensräumen
Der Mensch trägt die Hauptverantwortung bei der Zerstörung von Lebensraum, durch die Nutzung natürlicher Ressourcen, Luft-, Licht- und Wasserverschmutzung, Lärmbelastung, intensive Landwirtschaft, industrielle Produktion und die fortschreitende Zersiedelung der Landschaften. Weitere einflussreiche menschliche Aktivitäten sind Bergbau, Abholzung und Schleppnetzfischerei. Einen weltweiten Einfluss hat die Eutrophierung, der übermäßige Eintrag von Stickstoff und Phosphor in Ökosysteme und die Atmosphäre. Dieser Nährstoffeintrag führt langfristig dazu, dass nährstoffarme Habitate ihren einzigartigen und artenreichen Charakter verlieren und anderen Standorten immer ähnlicher werden.
Aber auch abiotische Umweltfaktoren können (indirekt) zur Zerstörung von Lebensräumen beitragen. Dazu gehören geologische Prozesse wie Vulkanismus, der Klimawandel, und das Ausbreiten invasiver Arten.
Invasive Arten übernehmen Lebensräume
Die Zerstörung von Lebensräumen in einem Gebiet kann dazu führen, dass sich die lokale Artenvielfalt von einer Kombination aus Generalisten und Spezialisten zu einer Population verschiebt, die hauptsächlich aus Generalisten besteht. Invasive Arten sind oft Generalisten, da sie in einer viel größeren Vielfalt von Lebensräumen überleben können als Spezialisten. Wenn nun diese ausbreitungsstarken invasiven Arten immer größere Lebensräume eines Gebietes besiedeln, bleibt für die wenigen ursprünglich dort heimischen Spezialisten immer weniger Platz. So verschiebt sich die sogenannte Aussterbeschwelle der Spezialisten immer weiter in eine fatale Richtung – und die Wahrscheinlichkeit ihres Aussterbens steigt.
Verlust der biologischen Vielfalt
Die Zerstörung von Lebensräumen ist der größte Treiber für den Verlust der Artenvielfalt und für den Verlust der genetischen Vielfalt innerhalb von Arten. Und hier geht es nicht nur um den Verlust großen und beliebten Tieren wie dem Großen Panda. Arten wie Fadenwürmer, Milben, Regenwürmer, Pilze und Bakterien übernehmen viele der für uns Menschen lebensnotwendigen Prozesse wie die Reinigung von Luft und Wasser, und auch sie verschwinden, wenn ihre Lebensräume zerstört sind. Auf höherer Ebene sorgen Pflanzen nicht nur für Strukturvielfalt und Schutz vor Erosion, sondern auch für Energie und Nährstoffe, die dann von anderen Lebewesen in der Nahrungskette weiterverarbeitet werden.
Beispiel: Totholz
Ein „gepflegter und aufgeräumter“ (Wirtschafts-)Wald ist oft einer, dem Holz entnommen wird, bevor es absterben kann. Damit fehlt dem Lebensraum Wald allerdings etwas, was ursprünglich ein fester Bestandteil war und sich über Jahrtausende entwickeln und optimieren konnte – ein Hotspot der Biodiversität: Unter der Rinde toter Bäume warten Stärke, Zucker, Vitamine, Eiweiße, Aminosäuren und Zellulose darauf, von Bock- und Borkenkäfer, Holzwespen und tausenden oftmals hoch spezialisierten v.a. Insekten und Pilzarten zersetzt zu werden. Deren Bohrmehl, Kot und Häutungsreste locken neue Holzbesiedler an – übrigens andere bei liegendem als bei stehendem Totholz. Fledermäuse, Käuze, Siebenschläfer nutzen Totholz als Überwinterungslager oder Schlafplatz, während weitere Organismen – Pflanzen, Pilze, Asseln, Milben und Würmer die Zersetzung schließlich abschließen. Übrig bleibt eine große Menge Humus, und damit die perfekte Grundlage für neues Wachstum.
Biodiversität
Das Beispiel Totholz zeigt eindrücklich: Unzählige Lebensräume und Prozesse sind durch den Menschen bereits so schnell verändert und zerstört worden, dass ganze Organismengruppen ausgestorben oder in ihrem Fortbestand akut bedroht sind. Das Wissen um die Zusammenhänge und das tägliche Bemühen um den Erhalt und die Wiederherstellung von Lebensräumen kann jedoch den Unterschied ausmachen, ob in der eigenen Stadt, im eigenen Dorf oder im eigenen Garten eine Vielfalt von Lebensräumen, Arten und die Vielfalt innerhalb dieser Arten erhalten bleibt.
Dieser Artikel wurde im Frühjahr 2024 in der Flora-Incognita-App als Story angezeigt. In der Pflanzenbestimmungs-App findest Du jederzeit spannende Informationen zu Pflanzen, Ökologie, Artenkenntnis, sowie Tipps und Tricks zum Pflanzenbestimmen. Schau‘ doch mal rein!